Es war bereits 13:50, 20 Minuten nach der verabredeten Zeit, und Jenny und Claudia waren immer noch nicht da. Da ich damit gerechnet hatte – wir sprechen hier schließlich von „hora peruana“, haha – hatte ich mir in weiser Voraussicht bereits ein Buch eingepackt, das ich nun im Schatten des Vigilante-Häuschens des Colegios las, um die Wartezeit etwas abzukürzen.
(Der Vigilante ist so etwas wie der schuleigene Wächter, der den mitunter vermutlich ziemlich eintönigen Job hat, Leuten die Tür aufzumachen oder – je nachdem, um wen es sich handelt – eben nicht. Jetzt, zu Corona-Zeiten hat er immerhin noch die Aufgabe, bei allen Eintretenden Fieber zu messen. Wie gut, dass ab und an Leute wie ich vorbeistolpern, die – zumindest am Hals - mit einer durchgängig überdurchschnittlich hohen Körpertemperatur gesegnet sind und durch regelmäßige Alarmsignale des Gerätes für Aufregung und damit etwas Abwechslung sorgen. Vielleicht sollte ich aber auch einfach einmal aufhören, Tücher und Schals zu tragen, - das hat hier in Peru immerhin schon einmal dazu geführt, dass mir mein Visum verwehrt wurde…)
Als Kati, die vierte im Bunde, endlich kam, brachte sie nicht nur ihren Rucksack und die versprochene Sonnenbrille für mich mit, sondern außerdem den ziemlich intelligenten Vorschlag, nicht an der Schule, sondern stattdessen an der Plaza de los alemanes auf Jenny und Claudia zu warten. Curahuasi war zu dem Zeitpunkt unserer Abreise nämlich ein einziges Trümmerfeld aus Baustellen. Und das Schlimmste daran war, dass die Arbeiter jeden Tag an andere Teile der „Quadrados“ aufrissen (und zwar mehrere gleichzeitig!), sodass man nie wusste, welche Straße heute gesperrt war und jedes Mal aufs Neue einen anderen Weg durch ein erneut völlig verändertes Labyrinth finden musste.
Als wir endlich im Auto saßen, waren all diese Dinge jedoch vergessen und wichen stattdessen der Vorfreude und Aufregung, die zu einem Aufbruch ins Unbekannte nun einmal dazugehörten. Mein Tag war ziemlich hektisch und voll gewesen und so dauerte es eine Weile, bis mein Puls sich soweit beruhigt hatte, dass ich mich auf dem Rücksitz des Subarus entspannen und die Weite genießen konnte, die sich mir bot, je weiter wir in Serpentinen hinab in den Canyon fuhren. Noch immer konnte ich nur über Gottes unglaubliche Gnade staunen, mit der er es mir erlaubte, noch einmal hier sein zu dürfen.
Wir sprachen die gesamte Fahrt nach Cuzco über Spanisch, teilten Erlebnisse und Popcorn und erreichten schließlich, nachdem nur zweimal die Servolenkung ausgefallen war, bereits im Dunkeln Andahuaylillas. Hinter den bewaldeten Hängen der ehemaligen Inka-Hauptstadt wurden die Hügel langsam kahler und die Luft, die trotz geschlossener Fenster zu uns hereinströmte, roch nach Staub und Feuer. Mein Kopf dröhnte, vermutlich eine Folge der Höhe, des wenigen Schlafes, der schiefen Position im Auto und der durchgehenden Gespräche in einer Fremdsprache, doch glücklicherweise musste ich an diesem Abend nicht mehr viel mehr tun, als zu essen (ein Nudelgericht, das Spagetti Carbonara erstaunlich nahe kam), mein Zimmer zu beziehen und schließlich unter drei Decken mehr als gewöhnlich einzuschlafen.
Das Hotel, das uns von einer befreundeten Missionarin empfohlen worden war, war wunderschön: Geräumig, sauber, modern eingerichtet und dennoch schon hunderte an Jahren alt. Davon zeugte unter anderem die alte Kapelle, die man über eine der vielen Türen erreichte, die vom großen Innenhof abgingen. Die weißen Wände waren aus Adobe gefertigt, jenem Material, das die Wärme sehr effektiv draußen hielt, - leider allerdings auch in einer Höhe von 3100 Metern im peruanischen Winter. Die Nächte waren ziemlich kalt: Bereits, als ich aus dem Auto gestiegen war, fröstelte es mich und so waren Jenny und ich dankbar für die Heizung, die die Zimmertemperatur in der Nacht konstant bei 27°C hielt.
Am nächsten Morgen frühstückten wir gemütlich Pan común mit Butter (natürlich gesalzen) und Marmelade, tranken unseren frisch gepressten Papaya-Saft und Kaffee und machten uns dann gegen halb acht auf den Weg. Eigentlich hatten wir vorgehabt, sofort am Samstag zu den Regenbogenbergen zu fahren und den Sonntag in Cusco zu verbringen, doch der Hotelbesitzer war ziemlich gut darin, uns auch andere Highlights der Region schmackhaft zu machen: Las lagunas de las siete colores, beispielsweise. Die wir – oder ich zumindest – sobald nicht sehen würden, wenn wir sie nicht jetzt in Angriff nahmen. Sogar Thermalbäder sollte es in dem Dorf geben, von dem aus wir unsere sechs-stündige Tour starten würden. Und selbst für uns sei der Weg so idiotensicher ausgeschildert, dass man sich überhaupt nicht verirren konnte, selbst wenn man es wollte. Aha. Nun ja, das würde sich noch herausstellen…
Aber frisch gestärkt, mit Sonnenschein und phänomenaler Aussicht waren wir optimistisch und guter Dinge. Die Fahrt verzögerte sich allein schon dadurch etwas, dass ständig eine von uns darum bat, kurz einmal den Wagen zu stoppen, um ein Foto schießen zu können. Statt der versprochenen 1:45 h brauchten wir beinahe zweieinhalb, was jedoch nicht nur an unseren Fotos, sondern auch daran lag, dass wir uns einerseits tatsächlich einmal kurz verfuhren und andererseits die Servolenkung nun immer und immer öfter ausfiel. Bisher hatte sich das Problem durch ein kurzes Aus- und Wiederanschalten des Motors beheben lassen, als wir in einem kleinen Dorf anhielten, um uns mit Snacks und Wasser einzudecken, funktionierte es danach jedoch plötzlich überhaupt nicht mehr. Jenny musste 10 Minuten mit schwergängiger Lenkung fahren, bevor sich das Auto dazu überreden ließ, wieder seine gewohnte Arbeit zu verrichten. Bei den Experten unter euch klingeln jetzt vermutlich schon seit längerer Zeit die Alarmglocken: Mitten in den teilweise halsbrecherischen Kurven der peruanischen Anden mit möglicherweise defekter Autobatterie? Eher ungünstig, könnte man sagen. Zu allem Überfluss machte ich auch noch den Fehler, in einem der seltenen Augenblicke mit Netz über Whatsapp in meiner Familiengruppe um Rat zu fragen, sodass meine Eltern nach kurzer Zeit natürlich außer sich vor Sorge waren.
„Was, wenn die Bremsen versagen? Ich verstehe nicht, dass ihr ein solches Risiko eingeht. Stellt sofort das Auto ab und sucht eine Fachwerkstatt auf!“, schrieb mein Vater.
Fachwerkstatt? Haha.
Auto abstellen? Gute Idee, ohne jeglichen Abschleppdienst.
Sonderlich unsicher, geschweige denn in Lebensgefahr hatte ich mich bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht gefühlt: Das Auto ging ja immer wieder an, es gab keine leuchtende Batterie-Warnung und Jenny fuhr vorsichtig und langsam – bergauf, wie man außerdem erwähnen muss. Im schlimmsten Fall, so dachte ich, würden wir in einer Kurve liegen bleiben und um ein Taxi beten müssen. Doch nun, mit all den besorgten Nachrichten meines Vaters, der normalerweise eigentlich immer die Ruhe selbst war, sprang natürlich auch bei mir das Katastrophendenken an: Sollten in einem Augenblick wirklich mit einem Mal die Bremsen versagen, dann gute Nacht…
„Jenny, sollten wir nicht wirklich vielleicht anhalten…?“, setzte ich an.
Doch mitten auf der Straße war das natürlich gar nicht so einfach. „Wir hatten das schon öfter.“, versuchte Jenny, mich zu beruhigen. „Mach dir mal keine Sorgen, wir fahren jetzt erst einmal weiter.“
„Aber was, wenn es wirklich die Autobatterie ist? Ich hab schonmal erlebt, wie das läuft: Irgendwann funktioniert die Lenkung dann gar nicht mehr und die Bremsen versagen und…“
Katastrophe um Katastrophe lief vor meinem inneren Auge wie in einem Film ab. Aber wir setzten unseren Weg fort und obwohl ich mich einerseits ein bisschen unverstanden mit meinen Sorgen fühlte, war ich andererseits irgendwie war ich ja auch genervt von mir selbst. Natürlich sollte man nicht leichtsinnig sein, doch letzten Endes war unser aller Leben in Gottes Hand und mit meiner Angst änderte ich rein gar nichts an der Situation. Also beschloss ich, meine Eltern so gut wie möglich zu beruhigen und nicht über das „Was-wäre-wenn“ nachzudenken, sondern stattdessen Jenny und ihrer Erfahrung zu vertrauen. Die vier Frauen waren allesamt Mütter von mehreren Kindern und würden nicht leichtfertig ihr Leben aufs Spiel setzen. Eine andere Wahl als weiterzufahren hatten wir ja auch kaum, sodass ich schließlich einfach dafür betete, dass wir heil ankommen würden. Was wir – oh Wunder – dann auch taten.
Das Dorf Paqchamqa lag auf einer Höhe von 4200 Metern und während wir ihm näherkamen, sahen wir bereits den schneebedeckten Gipfel des Ausangates. Bald wich die asphaltierte Straße einem Schotterweg, der sich den Berg hinaufschlängelte und uns schließlich in einer steinigen Gegend ausspuckte, die mit ihrer schroffen Hochgebirgsschönheit punktete. Es war etwa zehn Uhr vormittags, obwohl ich das Gefühl hatte, schon sehr viel länger unterwegs zu sein. Um uns herum bildeten die einheimischen Quechua-Indianer, die ihren gewohnten Tätigkeiten nachgingen, einen scharfen Kontrast zu den Touristen, die mit Rucksäcken und Schirmmützen ausgestattet darauf warteten, ihren Track zu den sieben Lagunen zu beginnen. Interessanterweise handelte es sich dabei überwiegend um Israeliten und Amerikaner, da die Impfkampagne in diesen Ländern bereits sehr viel fortgeschrittener war als beispielsweise in Deutschland.
Wir entschieden uns dagegen, den Weg auf Pferden zu reiten, schulterten unser Gepäck und machten uns auf den Weg. Entgegen meiner Erwartung merkte ich die Höhe kaum. Jenny und ich marschierten munter drauf los und legten ab und an eine Pause ein, um auf unsere südamerikanischen Nachzügler zu warten. Der steinige Pfad führte uns über moosbewachsene Felder und Flussläufe direkt an den Ausläufern des Ausangate vorbei und ich konnte mich gar nicht sattsehen an dem unwirklichen Panorama, das sich uns bot. Ab und an saßen Quechua-Frauen am Wegesrand, die ihre selbstgemachte Ware, aber auch Süßigkeiten und Getränke zum Verkauf anboten und als wir den höchsten Punkt der Wanderung erreichten hatten (4800 Meter), machten wir eine ausgedehnte Pause, in der wir uns die traditionellen Hüte aufsetzen und gemeinsam mit den Indianerinnen Fotos machten. Jenny, Claudia und Kati ließen sich Bänder in die Haare flechten und ich probierte mein gebrochenes Quechua aus in dem Versuch, ihnen Gottes Segen (Dius sumanchasunki) und einen schönen Tag (Allin Punchaw) zu wünschen. Sie erzählten uns außerdem von ihrem Leben und ihrem Arbeitsalltag: Jeden Tag legten sie den Weg auf den Berg mit all ihrer Ware zu Fuß zurück, was ich in Anbetracht der Höhe ziemlich beeindruckend fand.
Kurz nachdem wir uns auf den Weg gemacht hatten, erreichten wir auch schon die erste Lagune, die sich in sattem Türkisblau unter uns erstreckte. „Mittagspause.“, verkündeten die anderen und ich musste all meine Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht unruhig mit den Füßen zu scharren. „Die Wanderung dauert etwa 6 Stunden“, hatte ich die Worte des Guides im Kopf. Aber unser Hotelwirt hatte bestimmt die Rechnung ohne uns fotografier-wütige Plaudertaschen gemacht und die Rückfahrt im Dunkeln zu bewältigen würde mit unserer Servolenkung bestimmt nicht sonderlich angenehm werden. Doch andererseits sah ich diese wunderschöne Natur nur jetzt, in diesem Moment, und zwar höchstwahrscheinlich nicht nur zum ersten, sondern auch zum letzten Mal in meinem Leben. Also entschloss ich mich bewusst gegen die innere Unruhe und stattdessen dafür, den Ausblick, der sich mir bot, ganz in Ruhe zu genießen. Der Himmel war nun schon ein wenig bewölkt, doch ab und an brach das Sonnenlicht erneut durch die Wolken und ließ die Lagune in den unterschiedlichsten Farbtönen schillern.
Und das war erst der Anfang: Nach unserer Mittagspause erreichten wir bald einen ausgedehnten Talkessel, in dem sich Bergsee an Bergsee reihte: Der eine mit einem beinahe roten Strand, der nächste anscheinend tiefer und dadurch von einem intensiven Dunkelblau, der nächste im Vergleich zu den anderen sehr viel größer und dadurch ebenfalls wieder völlig anders.
Lamentablamente hatte nun langsam der Wind etwas aufgefrischt und je später es wurde, desto stärker sank auch die Temperatur. Als wir um eine Hügelkette kraxelten, begann es mit einem Mal, zu schneien. Winzige, zarte Schneeflocken taumelten durch die Luft und setzen sich auf das Gras unter unseren Füßen. Das sorgte bei Kati und Claudia natürlich für Begeisterungsrufe: In Peru, direkt auf Höhe des Äquators, war Schnee immerhin eine echte Seltenheit.
Woran auch immer es lag, - nachdem wir nach unserer Abkürzung wieder so etwas wie einen Weg erreichten, war von den anderen Touristen plötzlich keine Spur mehr zu sehen. Zunächst versetzte uns das eher nicht in Unruhe, schließlich hatte uns unser Hotelwirt höchstpersönlich dazu geraten, an einer Stelle nicht nach rechts, sondern stattdessen nach links zu gehen, um auch die letzte und schönste Lagune nicht zu verpassen. Außerdem sah der Weg zu unseren Füßen recht gepflegt und vor allen Dingen hochfrequentiert besucht aus: Weiße Pfeile zeigten gerade aus in Richtung Ausangate und ab und an gab es eine stabile Brücke, die über einen kleinen Fluss führte. Kurzentschlossen stapften wir also los. Je höher wir allerdings kamen, desto größer wurde auch unser Zweifel: Stimmte die Richtung wirklich, in die wir gingen? Meinem Gefühl nach entfernten wir uns eher von dem Ausgangspunkt unserer Wanderung und es handelte sich doch eigentlich um einen Rundweg, oder nicht? Eine alte Quechua-Indianerin, die wir am Wegesrand getroffen hatten, hatte meine meine Frage nach einer weiteren Lagune mit einem „ari ari“ (jaja) beantwortet, doch je länger ich darüber nachdachte, desto scheinheiliger erschien mir ihr Grinsen und desto unsicherer wurde ich. Claudia wartete mit Kati, deren Herzrhythmusstörungen ihr nun schon zum zweiten Mal Probleme bereiteten, weiter unten, während Jenny und ich auch noch den letzten Rest des Weges zu einem Aussichtspunkt erklommen. Dort angekommen hatte man zwar einen tollen Blick auf die Lagunen, an denen wir bereits vorbeigekommen waren, nicht jedoch – wie erhofft – auf eine weitere, auf der anderen Seite des Ausläufers. Stattdessen führte der Weg nun noch weiter nach oben, schlängelte sich zwischen schroffen Steinen hindurch und verschwand hinter einer Ecke, die nun definitiv nicht mehr in die Richtung zeigte, aus der wir gekommen waren.
„Du, Elena, ich hab ein ganz blödes Gefühl dabei.“, sagte Jenny und ich konnte ihr nur zustimmen.
„Ich auch. Das ist definitiv die falsche Richtung. Und meinte Mario nicht auch, dass der höchste Punkt der Wanderung bei 4800 Metern liegen würde. Wir sind jetzt aber definitiv schon höher als an der Stelle, an der wir die Quechua-Frauen getroffen haben.“
„Oh mann, stimmt.“ Jenny wurde blass. „Und guck mal da hinten. Zieht da nicht ein Sturm auf?“
„Möglich. Sieht auf jeden Fall nicht gut aus.“ Ich zeigte auf einen der Pfeile, die den Weg markierten. „Die Markierungen verstehe ich hier sowieso nicht. Eben haben sie noch nach oben gezeigt, jetzt zeigen sie mit einem Mal auf uns zu.“
„Lass uns umdrehen.“, beschloss Jenny und ich folgte ihr ohne ein weiteres Wort des Widerspruches. In stummem Einvernehmen trotteten wir den Hang wieder hinab und bedeuteten den anderen, unten zu warten. Als wir uns alle wieder getroffen hatten, entschieden wir uns dazu, zunächst einmal genau den Weg zurückzugehen, den wir auch hergekommen waren. An der Weggabelung entdeckten wir allerdings plötzlich frische Fußspuren, die zwar einem uns bisher unbekannten Weg folgten, jedoch in die richtige Richtung zeigten. Und nach ein paar weiteren hundert Metern war der Pfad, dem wir nun folgten, eindeutig als der Weg zu erkennen, der uns zurück zum Auto führen würde. Er war beiderseits im Abstand von jeweils einem halben Meter mit Steinen markiert, sodass die Worte unseres Gastgebers mit einem Mal wieder Sinn ergaben: Da könnt ihr euch überhaupt nicht verirren. Tja. Nur musste man diesen Weg eben erst einmal finden.
Die nächsten und letzten drei Lagunen waren sehr viel kleiner, daher hatte man sie von den oberen Hügeln auch nicht sehen können. Nichtsdestotrotz waren sie wunderschön und strahlten in der Nachmittagssonne in einem intensiven kristallblau. Das Wasser war so klar, dass ich am liebsten auf der Stelle hineingesprungen wäre, - und auch gar nicht so kalt, wie ich es im ersten Moment erwartet hatte. Dennoch hatten wir weder die Zeit noch die nötigen Wechselsachen, sodass wir stattdessen unseren Schritt beschleunigten und weitergingen.
Nun führte der Pfad uns über samtweiche Grasflächen zu einer dicken Moosdecke am Ufer der letzten Lagune. Der Untergrund federte unter unseren Schritten und wirkte auf den ersten Blick sehr einladend zum Verweilen, stellte sich bei einer kurzen Pause jedoch als hart und voller kleiner Dornen heraus. Vielleicht war es allerdings auch gut, dass wir nicht so lange Pause machen konnten. Zwar war der Ausblick schön und ich hatte sogar ein paar überdimensionale weiße Eichhörnchen entdeckt, doch als wir wenig später ein kleines Dorf erreichten und uns erkundigten, wie lange es noch dauern mochte, war die eher wenig zufriedenstellende Antwort „Noch circa anderthalb Stunden, más o menos.“
Jenny und ich wechselten einen beunruhigten Blick. Die Sonne stand bereits tief und der Himmel hinter uns wurde immer dunkler. Wenn man genau hinsah, dann konnte man zwischen den finsteren Wolken feine, weiße Punkte erkennen: Schnee. Und der Schneesturm schien näherzukommen.
„Okay.“, seufzte Jenny. „Dann beeilen wir uns jetzt.“
Das war mir nur recht. Ich hatte Kopfschmerzen von der Sonne und der Höhe und wollte nichts lieber, als endlich unser Ziel zu erreichen. Im Laufschritt setzten wir unseren Weg nun fort, joggten mehr, als dass wir gingen, während hinter uns der Donner zu grollen begann. Von einem Unterstand, geschweige denn einer Erhebung zum Schutz gegen eventuelle Blitze war in dieser Ebene weit und breit keine Spur. „Und da wollen die Männer in zwei Wochen hin, um den Gipfel zu besteigen?“, murmelte ich. „Na das ist ja eine ganz tolle Idee.“
Doch wir schafften es. Etwa gegen halb fünf kamen wir in dem Dorf an und hatten sogar noch die Zeit, uns die Thermalbäder immerhin einmal anzusehen. Hineingehen würden wir nicht mehr, - dazu war auch der Wind zu kalt, - doch es war tatsächlich eine ziemlich schöne Anlage. Da war es auch nicht ganz so schlimm, dass ich dreimal hin- und zurücklaufen musste: Einmal, um Geld für die Toilette zu holen, ein zweites Mal, um das Wechselgeld zurückzubringen und ein drittes Mal, weil ich unterwegs meinen Handschuh verloren hatte. Wow. Irgendwo auf dem Weg musste ich mein Gehirn verloren haben. Aber wenn man hier mit Kleidung am Körper schon so angestarrt wurde, dann wollte ich gar nicht wissen, wie das mit Badesachen aussah.
So war ich alles in allem dann doch ganz dankbar, als wir erschöpft, aber gleichzeitig auch voller wunderschöner Eindrücke und Impressionen in die Sitze des Subaru sinken durften. Wir fuhren direkt in den Sonnenuntergang hinein und es gelang Jenny, noch vor Einbruch der Dunkelheit von dem Schotterweg auf die Pista zu gelangen. Von dort ging es dann so schnell wie möglich zurück nach Andahualillas. Während des Rückweges fiel unsere Servolenkung nur zweimal aus, allerdings hatten wir alle mit Kopfschmerzen und teilweise auch mit Übelkeit zu kämpfen. Die Höhe machte sich insofern bemerkbar, dass ich zwar völlig ausgehungert war, aber überhaupt keinen Appetit verspürte. Das änderte sich glücklicherweise, als wir zurück im Hotel angekommen waren und dort Fleischrolladen, Reis, Kartoffelpüree und gekochtes Gemüse bekamen. Plötzlich schmeckte die kleinste Kleinigkeit wie der Himmel auf Erden und war selbst die harte Matratze eine Wohltat für meinen ausgelaugten Körper, der beinahe sofort in einen tiefen, ohnmachtsartigen Schlaf fiel.
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