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Die Sache mit Corona

Wie wird hier eigentlich gerade mit Corona umgegangen?

Was die offiziellen Regeln bezüglich Corona sind, kann ich euch tatsächlich aus dem Stegreif gar nicht sagen. Als ich hier ankam, war es innerhalb großer Supermärkte oder auch auf dem Flughafengelände Pflicht, zwei Masken übereinander ("Doble-Mascarilla" nennen sie das hier) zu tragen, dazu außerdem ein zusätzliches Face-Shield. Als Sicherheitsabstand gilt hier die Distanz von lediglich einem Meter, dafür muss man an der frischen Luft jedoch ebenfalls ständig eine Maske tragen. In Lima und anderen Großstädten besteht momentan eine Ausgangssperre von 1 - 4 Uhr. Gegenseitige Besuche im Privaten sind je nach Bundesland unterschiedlich streng geregelt, der Großteil der Schulen bleibt allerdings weiterhin geschlossen. Von dem deutschen auswärtigen Amt ist Peru als Hochrisikogebiet eingestuft worden und Ende Juni ging die Meldung durch die Nachrichten, dass Peru den traurigen Rekord der meisten Corona-bedingten Todesfälle weltweit hält.  

 

Auf der Website Corona Zahlen für Peru - aktuelle COVID-19 Statistik (corona-in-zahlen.de habe ich außerdem einige aktuelle Zahlen gefunden. Besonders erschreckend ist dabei meiner Ansicht nach die Sterblichkeitsrate:

Überraschend ist währenddessen andererseits die Impfquote. Momentan bekomme ich hier mit, wie die ersten Lehrer bereits ihre zweite Dosis erhalten haben und von der bisherigen Altersgrenze von 40 Jahren nun langsam auf 30 hinuntergegangen wird. Lange Zeit stand hier nur der chinesische Impfstoff BBIBP-CorV von Sinopharm zur Verfügung, der in Deutschland meines Wissens nach noch nicht zugelassen ist, mittlerweile kann man sich jedoch auch mit Biontech/Pfizer impfen lassen. 

 

So viel zu den offiziellen Zahlen. Dabei darf man natürlich nicht vergessen, dass die Inzidenz von 17,7 kaum aussagekräftig sein dürfte, da - zumindest hier in den Bergen - kaum getestet wird. Dafür stehen einfach zu wenig finanzielle und medizinische Mittel zur Verfügung. Wenn man die dadurch bedingte Dunkelziffer berücksichtigt, dürfte auch die Letalitätsrate etwas niedriger sein, - was der Anzahl an Gesamt-Todesfällen natürlich nicht ihren Schrecken raubt, aber dennoch hilft, das Ganze ein wenig besser einzuordnen.

 

 

Wir befinden uns gerade am Ende der zweiten Welle und es bleibt nur zu hoffen, dass die Zahlen weiterhin relativ niedrig bleiben und die dritte Welle noch etwas auf sich warten lässt. Generell kann man wohl sagen, dass der Umgang in den kleineren Städten und Dörfern kaum mit den Verhaltensweisen in den Großstädten zu vergleichen ist. Einige der Orte, die ich bisher besuchen durfte (wie Atalaya im Regenwald oder Marampata in den Bergen) kennen praktisch kein Corona: Es werden weder Masken getragen, noch irgendwelche Abstände eingehalten. Diese Dörfer sind allerdings meistens auch fernab der gewöhnlichen Zivilisation gelegen: Nach Choquequirao kommt man beispielsweise nur, wenn man vorher 1500 Höhenmeter zu Fuß in einen Canyon hinabwandert - und diesen anschließend auch wieder hinaufgeht.

 

In Cusco geht der Tourismus wieder seinen gewohnten Gang: Restaurants und Bars sind geöffnet, außerdem Diskotheken, Geschäfte, Museen und sogar Schwimmbäder und Sporthallen, - auch ohne Tests. Umso unverständlicher ist es, dass die Schulen weiterhin geschlossen bleiben müssen. Touristenattraktionen wie Macchu Picchu besitzen währenddessen einen sogenannten "Aforo", also ein Besucherlimit und verschiedene Einlasszeiten. Ich persönlich fand diese Regelung allerdings sehr angenehm, da man den Charme der alten Inka-Ruinen dadurch noch viel intensiver genießen konnte. 

 

Wenn man so durch die Gassen der alten Inka-Hauptstadt schlendert, vergisst man bei Zeiten fast, dass wir uns in einer Pandemie befinden. Auch was das Abstandhalten angeht, sind die Leute hier wesentlich entspannter, als in Deutschland. Als ich das erste Mal in die Läden ging, um meinen Wocheneinkauf zu erledigen, war von Abstandhalten nicht viel zu sehen: Stattdessen liefe alle wild durcheinander. Erst in diesem Moment merkte ich, wie unwohl ich mich damit fühlte, nicht in alle Richtungen eine Distanz von 1,5o Metern einhalten zu können und wie sehr ich mich durch die Zeit des Lock-Downs in Deutschland selbst konditioniert hatte. Das war wirklich eine befremdliche Erfahrung. 

 

Auch was die Besuchsregelungen im Privaten angeht, haben die Menschen hier eine mehr als lockere Einstellung. Dass es diesbezüglich überhaupt Einschränkungen gibt, habe ich erst durch Eigenrecherche im Internet herausgefunden. Offiziell ist es wohl verboten oder zumindest streng limitiert, im wahren Leben trifft sich hier aber einfach jeder mit jedem. Kontrolliert wird es ohnehin nicht und selbst die Polizisten scheinen mittlerweile keine Lust mehr auf die strengen Einschränkungen zu haben. Wenn "Maske tragen" Vorschrift ist, dann sieht man sie manchmal überall, nur eben nicht auf Mund und Nase. 

 

All diese Dinge mögen zunächst verwundern, wenn man bedenkt, wie hart Peru von dem Virus getroffen wurde: Zu Anfang starben dutzende Leute in den Krankenhausgängen, weil es schlichtweg an medizinischer Versorgung, Betten oder Materialien wie Beatmungsgeräten und vor allem Sauerstoff mangelte. Die Patienten wurden dazu angehalten, ihren Sauerstoff selbst zu besorgen: Ohne Sauerstoff keine Beatmung. Die Flaschen wurden für viel Geld gehandelt und teilweise auf dem Schwarzmarkt verkauft, - zu teuer und zu spät für viele. Ende Juni ging die traurige Schlagzeile durch die Medien, dass Peru nun die meisten Todesfälle im Zusammenhang mit Corona weltweit zählt.

Jeder Peruaner kennt im Schnitt mindestens eine Person, die tatsächlich an einer Corona-Erkrankung gestorben ist. "Corona-Leugner" gibt es hier also de facto nicht und die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, ist deutlich höher als beispielsweise in Deutschland.  

 

Gleichzeitig muss man ebenfalls im Hinterkopf behalten, dass der erste harte Lockdown eine wirkliche Bedrohung für unzählige Familien war: An manchen Tagen in der Woche durfte man das Haus überhaupt nicht verlassen, nicht einmal, um Einkaufen zu gehen. Schulen, Hotels, Restaurants, Läden und sogar der Markt wurden von einem Tag auf den anderen einfach geschlossen, wodurch die Existenzgrundlage vieler Menschen aus dem Nichts heraus komplett wegbrach. Die Preise stiegen mitunter bis fast auf das Doppelte an, während die Löhne der Arbeiter sich gleichzeitig halbierten. Und zusätzlich zu der harten Arbeit musste man nun auch irgendwie auf die Kinder aufpassen, die in den eigenen - und oft unheimlich beengten - vier Wänden eingesperrt waren und ihre Freunde nicht mehr sehen durften. 

 

Da ist es eigentlich kaum verwunderlich und menschlich gesehen durchaus nachvollziehbar, dass die Leute sich irgendwann dazu entschlossen, ihr Leben weiterzuleben und sich nicht mehr von den Corona-Regelungen einschränken zu lassen. Wenn der geführte Laden die Grundlage dafür ist, dass die eigene Familie überleben kann, dann muss er eben geöffnet bleiben. Genauso wie das Restaurant, das möglicherweise eben noch nicht über einen so ausgeklügelten Lieferservice verfügt, wie wir das aus Deutschland kennen.

 

Ich persönlich muss zugeben, dass ich die getroffenen Entscheidungen der Bevölkerung vor Ort aus gesundheitlicher und medizinischer Sicht zwar vielleicht nicht immer für verantwortungsvoll halte, aus emotionaler, wirtschaftlicher und psychischer Perspektive jedoch durchaus als gesund, verständlich - und vielleicht sogar als vernünftig bezeichnen würde. Die Menschen, die zur Risikogruppe gehören, sind nach und nach geimpft, sodass der Rest zur Normalität zurückkehren kann.  

 

Was eher verbessert werden müsste, ist also das schlechte Gesundheitssystem: Im Gegensatz zu Deutschland ist die Rate der Patienten, die auf Intensivstation kommen, um beatmet zu werden und die danach sterben, sehr viel höher als beispielsweise in Deutschland. Ein umso größerer Segen ist es da, dass Diospi Suyana eine ähnlich gute Quote aufzuweisen hat, wie westliche Krankenhäuser: Prozentual liegt der Anteil der Patienten mit schwerem Verlauf, die jedoch gerettet werden können, weit über dem nationalen Niveau. Dies ist den großzügigen Medikamenten- und Gerätespenden, dem unermüdlichen Einsatz des Personals, vielen Gebeten und nicht zuletzt vor allem Gottes Gnade zu verdanken, der Diospi Suyana weiterhin segnet - und die Menschen vor Ort nicht im Stich lässt. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Olga.12 (Donnerstag, 09 September 2021 23:56)

    Hallo, vielen Dank für's Teilen!