Eindrücke von meinem Pflegepraktikum auf der Onkologie
Wer mich kennt oder meine Blogeinträge schon etwas länger verfolgt, der weiß vielleicht, dass ich bereits während meines ersten Pflegepraktikums ausführlich darüber berichtet habe, was ich mit
Gott zusammen nach meinem Peru-Einsatz und noch vor Beginn meines Medizinstudiums erleben durfte. Der Artikel über meinen zweiten Praktikumseinsatz wird im Vergleich dazu kürzer ausfallen –
allein schon, weil das Praktikum nun bereits beinahe ein Jahr zurückliegt – aber auch, weil ich es mir in Zukunft angewöhnen möchte, mich bei meinen Einträgen hier etwas mehr auf das Wesentliche
zu beschränken (Hallelujah :D) und das Lesen auch für zwischendurch möglich zu machen. Hier also einige bewegende Eindrücke – selbstverständlich der Schweigepflicht wegen mit geänderten Namen
– von meinem Praktikum auf der Onkologie:
Wie jeden morgen (oder sollte man besser sagen, - jede Nacht?) klingelte mein Wecker schon gegen 4:35 Uhr – nicht meine Uhrzeit, Freunde, nicht meine Uhrzeit – und ich quälte mich schlaftrunken zuerst aus meinem Bett und dann mit der ersten von vielen Tassen Kaffee des Tages intus auf meinem Fahrrad den Berg zu dem Krankenhaus hinauf, in welchem ich in Bayern mein eineinhalb-montages Pflegepraktikum für das Medizinstudium absolvierte. Es war Anfang März und deshalb nicht nur sehr dunkel, sondern auch sehr kalt und ich hatte in Ermangelung einer Fahrradlampe mein Handy mit eingeschalteter Taschenlampe in die Rücktasche meines Rucksacks gesteckt, um mich bei meiner nächsten (ja, es hatte eine erste gegeben) Konfrontation mit der Polizei wenigstens ein bisschen rechtfertigen zu können. Während zu dem Sound von „Lifeline“ von Stephen Stanley die Häuser, Brücken und Flüsse an mir vorbeizogen, durchlebte ich in Gedanken bereits einige der Situationen, die sich in den letzten Tagen zugetragen und die mich zutiefst inspiriert hatten:
Jeder geht anders mit einer lebens(erwartungs)verändernden Diagnose um.
Zuerst einmal war da die Begegnung mit dem Apotheker Herbert gewesen, der trotz seiner Blutkrebsdiagnose noch jeden Tag ausdauernd vor dem Fenster im 13. Stock (also, mich persönlich stört es ja nicht, aber wer bitte kommt auf die grandiose Idee, eine Onkologie in den 13. Stock zu legen?) stand und mit Blick auf die Stadt auf der Stelle joggte, „so lange es noch ging“. „Jeder Tag könnte der letzte sein, sagte er mir ohne jeden Hauch von Angst in der Stimme, und deshalb bin ich jetzt dankbar für jeden Tag.“
Dann war da der Mittdreißiger Ben, der an Knochenkrebs litt, lange Zeit über alternative Heilmethoden versucht hatte, krebsfrei zu werden und nun tragischerweise mit Kind und Ehefrau an seiner Seite im Endstadium im Krankenhaus lag. (Ich habe nichts gegen Alternativmedizin und bemühe mich auch weiterhin darum, weitgehend vorurteilsfrei zu leben, aber in diesem Fall war es einfach nur tragisch, dieser jungen Familie beim Trauern zuzusehen…)
Frau Meier, die Privatpatientin beschwerte sich die ganze Zeit über das Essen und die Behandlung und dass man ihr zu wenig Vorzüge entgegenbrachte, wo es ihr doch ohnehin schon so besch**** ging und im Gegenzug dazu hatte Frau Erhart die ganze Zeit schreckliche Angst, während die etwas jüngere Janina ihre Zeit damit verbrachte, Dankeschön-Karten an das Pflege-Personal zu schreiben.
Ich sah viele Menschen in dieser Zeit, junge und alte und es steht mir nicht im Geringsten zu, über ihren unterschiedlichen Umgang mit der Krebserkrankung zu urteilen. Ich kann nicht im Ansatz nachvollziehen, welche Schmerzen manche von ihnen erdulden müssen, wer „mehr“ oder „weniger“ stark ist oder wer mehr oder weniger durch die Diagnose verloren hat. Im Gegenteil: Auch für mich war der Umgang mit dem Tod nicht so einfach, musste ich doch einen toten Säugling durch das Krankenhaus tragen oder erlebte zum Beispiel, wie zum ersten Mal jemand in meiner Anwesenheit völlig blau anlief und dann langsam erstickte. Ich hatte schon Leichen gesehen, das ja. Und Menschen, die vielleicht noch ein paar Tage zu leben hatten, das auch. Aber im Moment des Todes war ich selbst noch nie dabei gewesen und ich merkte, dass mich die Atmosphäre in dem Raum stärker berührte, als ich mir das gewünscht hätte. Ich nutzte meinen obligatorischen täglichen Gang zum Testzentrum, um meine umherwirbelnden Gefühle und Gedanken zu sortieren, betete, versuchte, ruhig zu atmen, telefonierte mit meiner Mutter… Und schaffte es schließlich, etwas ruhiger noch einmal zu dem nun Toten hineinzugehen. Ich wollte lernen, den Tod nicht als Gegner zu betrachten, sondern als etwas Natürliches, einen Begleiter, vielleicht sogar als Chance, wenn dies für einen gläubigen Menschen bedeutete, endlich zu Gott gehen zu können. Und gleichzeitig merkte ich, wie sehr es mich herausforderte, mich, die ich Zeit meines Lebens mit allen möglichen Ängsten – und letzten Endes ja mit der Angst vor dem Tod – zu kämpfen gehabt hatte.
Gott war in diesem Lernen an meiner Seite und begleitete mich auch in den nächsten Wochen, in denen ich noch vieles Weitere lernen sollte. Gleich ein paar Tage später bekam ich nämlich mit, wie ein amerikanischer Patient, der am Anfang der Woche noch ganz normal gescherzt und gelacht hatte, mit einem Mal massiv abbaute und am Ende der Woche nicht mehr ansprechbar war. Für seine Frau war das besonders tragisch, da sie erst ein paar Tage zuvor die Krebsdiagnose bekommen hatten und ihr Mann sich vorher lange geweigert hatte, trotz der Symptome einen Arzt aufzusuchen. Und nun saß sie da völlig überfordert und verzweifelt weinend an seinem Sterbebett und wusste nicht, ob sie noch die Zeit hatte, den gemeinsamen Sohn abzuholen oder nicht. Ich setzte mich zu den beiden, hörte einfach zu und erkundigte mich dann vorsichtig, ob ich ihr eine Freude machen würde, wenn ich für sei beide betete. Darauf nickte sie schnell und brachte sogar ein kleines Lächeln zustande. „ja, bitte!“ Das tat und ich und versprach, es für ihren Mann auch weiterhin zu tun, während sie ins Auto stieg und ihren Sohn abholte. An dem Vormittag hatte ich bereits alle Vitalwerte gemessen und hatte deshalb glücklicherweise nicht viel zu tun. Während ich zwischendurch einmal kurz Histologie lernte, hatte ich plötzlich den dringenden Impuls, aufzuspringen und in das Zimmer des Mannes zu gehen.
,Hat das nicht noch etwas Zeit, Gott?‘, fragte ich in Gedanken. ,Kann ich erst noch den Bericht zuende schreiben?‘
Doch alles, was kam, war lediglich ein „Geh jetzt!“ und so sprang ich, ohne noch weiter darüber nachzudenken, auf und stürmte geradewegs in das Zimmer des Patienten. Dort angekommen wusste ich zunächst nicht, was ich tun sollte, war mir doch nicht klar, wieviel von seiner Umgebung er noch mitbekam. Irgendwann kam ich jedoch auf den Gedanken, dass er ja Englisch sprach und begann schlicht und einfach, in dem Krankenzimmer für ihn „Amazing Grace“ zu singen. Falls er noch irgendetwas hörte oder verstand, dann kannte er das Lied und seine Bedeutung sicher und fühlte sich getröstet, während ich es sang. Ich betete auch laut für ihn, damit er es hören konnte und tat dies an diesem Tag noch sehr oft. Ein paar Tage später starb der Mann, doch seine Frau und auch der Sohn konnten sich immerhin noch gemeinsam von ihm verabschieden. Und nur Gott weiß, wieviel von dem, was er noch verstanden hat, möglicherweise in sein Herz gesickert ist und einen Unterschied für seine letzten Tage und vielleicht sogar für die danach kommenden gemacht hat.
Eine weitere Situation, die ich vermutlich mein Leben lang niemals mehr vergessen werde, war die Begegnung mit der stark übergewichtigen, multimorbiden Irene. Sie hatte viele Erkrankungen, litt
jedoch vordergründig an einem Gebärmutterkarzinom im Endstadium, welches sie stetig Blut verlieren ließ. Alle Pfleger und Pflegerinnen rechneten damit, dass sie innerhalb der nächsten Tage trotz
der angehängten Konserven langsam verbluten würde, doch der Weg dorthin war lang und schmerzhaft und Irene selbst war voller Angst. Sie bekam oft schlecht Luft und wir mussten sie mit 4
Pflegekräften lagern und drehen, wenn wir sie waschen oder ihre Verbände wechseln wollten. Einmal sagte sie wie nebenbei: „Der da oben muss mich wirklich hassen.“, was mich innerlich und
äußerlich zusammenzucken ließ. „Wie kommen Sie denn darauf?“, erkundigte ich mich so ruhig und mitfühlend wie möglich und hörte geduldig zu, während sie mir ihr Leid klagte.
„Ich glaube nicht, dass Gott Sie vergessen hat.“, sagte ich schließlich. „Wissen Sie, er hat Leid auch erlebt, er weiß, wie Sie sich fühlen und er möchte Ihnen in den Schmerzen beistehen, anstatt
Sie zu bestrafen. Er kann Ihnen die Angst nehmen! Und er ist es nicht, der Ihnen diese Krankheit „geschickt“ hat, oder Ähnliches, im Gegenteil: Er hat tiefstes Mitleid, das weiß ich ganz sicher!“
„Aber warum hat er das dann alles zugelassen?“, platzte es aus ihr heraus und so kamen wir über die nächsten Stunden und Tage immer tiefer ins Gespräch. Ihre Tochter, selbst völlig verzweifelt, überfordert und Border-Linerin obendrein saß mit am Bett und lauschte unseren Unterhaltungen, gab ab und zu den ein oder anderen verbitterten Kommentar dazu ab, ertrug es aber dennoch, wenn ich für die beiden betete.
Nach einigen anstrengenden Schichten hatte ich eigentlich zwei Tage unter der Woche frei, doch ich wusste, dass es gut sein konnte, dass ich Irene nach dieser freien Zeit nicht mehr wiedersehen würde. Ihre ängstlichen, großen Augen, das schmerzverzerrte Gesicht, die atemlose Stimme… und vor allem ihre Wut auf den Gott, an den sie nicht glauben wollte, gingen mir nicht mehr aus dem Sinn. Als ich am Telefon zusammen mit David – der damals bereits fast mein fester Freund war, aber dazu in einem anderen Artikel mehr :D – betete, sagte er schließlich: „Elena, ich hab das Gefühl, du solltest heute nochmal hinfahren.“ Ich schwieg kurz, dann erwiderte ich: „Weißt du was? Ich auch, Frei hin oder her.“ Und so nahm ich all meinen Mut zusammen, stieg aufs Fahrrad und radelte noch einmal den Krankenhausberg hinauf. Ich wusste noch nicht einmal, ob ich in Zivil überhaupt auf Station durfte, doch ich beschloss, dass es mir in diesem Fall einfach egal war und so fuhr ich mit dem Aufzug wie gewohnt in den 13. Stock und ging auf direktem Weg in Irenes Zimmer. Sie war noch da und am Leben und unterhielt sich im schönsten Sonnenschein mit ihrer Tochter. Dankbar ging ich nochmal ans Bett, atmete tief durch und fragte nach dem gewöhnlichen anfänglichen Small-Talk, ob ich noch einmal für Sie beten dürfte.
„Ich weiß, Sie haben Angst vor dem Tod.“, sagte ich ganz direkt, ohne weiter darum herumzureden. „Aber ich glaube, dass Sie das nicht müssen, wenn Sie Gottes Kind sind. Dann haben Sie nämlich über den Tod hinaus eine Hoffnung, für immer bei Ihrem Vater zu sein, der Sie liebt. Wo Sie keine Schmerzen mehr haben werden. Keine Angst. Wo Sie wieder laufen können.“
„Das wäre schön.“
„Glauben Sie, dass es Gott gibt?“
„Schon, ja.“ Sie atmete flach und hektisch und hakte sich mit ihren Augen in meinen fest. Verzweifelt hoffte ich, dass ich irgendetwas ähnliches wie Trost, Hoffnung und Zuversicht ausstrahlte.
„Dann beten Sie gemeinsam mit mir, Irene. Ich spreche es laut aus und Sie können es nachbeten.“
Sie nickte stumm.
Und dann beteten wir gemeinsam, ich zuerst, dann sie. Wir räumten alles aus dem Weg, was zwischen ihr und Gott gestanden hatte, baten ihn in ihr und um ihr Leben, um seinen Frieden und seine Nähe auch in dieser Situation. Als ich geendet hatte, atmete Irene etwas ruhiger und bedankte sich gerührt. Wie schon sooft wusste ich nicht mehr genau, was ich gesagt hatte, hatte aber das Gefühl, vom heiligen Geist geführt worden zu sein.
Es war das letzte Mal, dass ich Irene sah, denn als ich am nächsten Morgen zu meinem Frühdienst kam, war sie gerade gestorben. Es war wohl kein schöner Tod gewesen und ich hatte ehrlich gesagt etwas Angst, der Tochter zu begegnen. Generell hatte ich auch kurz davor erfahren, dass mein Exfreund auf dem Weg an die ukrainische Front war und war dementsprechend auf mehreren Ebenen durch den Wind. Deshalb traf es mich auch ziemlich aus der Kalten heraus, als plötzlich eine Schwester auf mich zukam und geradeheraus fragte: „Elena, warst du diejenige, die für Irene gebetet hat?“
Mein Herz setzte einen Schlag aus und ich bemühte mich, nicht zusammen zu zucken. „Ehm… ja?“
Würde ich Ärger bekommen? Ich war nicht sicher, ob das, was ich getan hatte, offiziell erlaubt war, geschweige denn, ob es nicht sogar explizit verboten wurde.
„Komm mal mit, die Tochter möchte gern mit dir sprechen.“
„Okay.“, bekam ich irgendwie trotz meines trockenen Mundes heraus und straffte unwillkürlich die Schultern, während ich meiner Kollegin folgte, innerlich bereits gefasst darauf, mir nun eine gehörige Standpauke anhören zu müssen. Hatte ich nicht vielleicht grausame Hoffnungen geweckt? War ich vielleicht sogar anmaßend und manipulativ gewesen? Ich wusste es nicht, wusste nur, dass ich nichts von dem, was ich gesagt und getan hatte, bereuen konnte. Denn letzten Endes war es mir nur um Irene selbst gegangen. Als wir das Zimmer betraten, blickte mich Irenes Tochter aus tränenverschmierten Augen an. Dann sagte sie etwas, womit ich nicht im Traum gerechnet hätte. Nicht bei ihrer offensichtlich so abneigenden Haltung, die sie bei religiösen Themen zuvor an den Tag gelegt hatte.
„Könnten Sie vielleicht noch einmal für meine Mutter und mich beten?“
Nur das.
Mir traten die Tränen in die Augen. Stumm nickte ich, dann beugte ich mich über die Leiche und wandte mich an Gott: Für Irene aber auch für ihre Tochter, für alle, die mit drinhingen, für das, was hier geschehen war. Ich wusste, dass Worte nicht zu heilen vermochten, aber Gottes Geist konnte es und er war es, den ich in diesen Raum und in diese Situation hin einlud.
Als ich fertig war, bedankte sich die Tochter noch einmal und ich bemerkte, dass die Schwester die ganze Zeit über zugehört hatte. Als wir den Raum verließen, sagte sie: „Das hast du gut gemacht, Elena.“ und ich konnte kaum fassen, wie gnädig Gott mit mir war.
Das hört sich nun vielleicht an, als wären mir solche Situationen leicht gefallen, doch das ist nicht der Fall. Manchmal war mein Puls vor Aufregung ungesund hoch (laut zufälliger Messung 166) und nur mit viel Gebet schaffte ich es, in solchen Situationen Ruhe zu bewahren. Oft dachte ich, dass man mir den Sturm, der in meinem Inneren tobte, bestimmt nach außen hin ansah, doch stattdessen meldete mir eine Patientin zurück, dass Sie dankbar für den Frieden war, den ich immer ausstrahlte, wenn ich das Zimmer betrat und sie strickte mir während ihrer zweiwöchigen Chemotherapie als Dankeschön sogar ein Paar Socken. Es waren diese Momente, die mir klarmachten und bestätigten, dass Gott mich in der Medizin gebrauchen wollte, aber ich merkte auch, dass diese Ruhe nicht aus mir selbst herauskam und dass ich ihn ganz dringend dabei brauchte. Er war es, der mich führte, wenn ich mit meinem Latein am Ende war und mir den Impuls gab, einer alten Patientin einfach die Hand zu halten und einen kühlen Lappen auf die Stirn zu legen, woraufhin sie mich durch einen Tränenschleier hindurch ansah und flüsterte „Sie sind ein Engel“ und Gott war es auch, der mir erholsamen Schlaf in der Nacht schenkte, Geduld bei anstrengenden Aufgaben und zwischenmenschlichen Missverständnissen und der mir jeden Morgen erneut die Kraft zum Aufstehen gab.
Auch fachlich wurde ich herausgefordert: Ich durfte Cytostatika spritzen, Herzkatheter ziehen, Blut abnehmen und viele weitere Dinge lernen und er stellte mir meinen (mittlerweile) wunderbaren Freund an die Seite, der mich mit Briefen, Telefonaten und schließlich auch mit einem Besuch unterstützte. Darüber hinaus war ich während der Zeit in einer Missionarsfamilie zu Gast, die ich in Peru kennengelernt hatte und es war toll, sonntags zusammen in den Gottesdienst gehen zu können, gemeinsam zu beten oder einfach einmal einen Tag zur Abwechslung in der Kinderarztpraxis aushelfen zu dürfen.
Im Rückblick ist mein Pflegepraktikum in Bamberg eine anstrengende Zeit gewesen, aber auch eine Zeit voller Wunder, Begegnungen und der unverhofften Freude. Und sie hat mich einiges über das Leben und den Tod gelehrt, das ich hier noch einmal zusammenfassen darf:
„Herr, lehre uns, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“, heißt es in den Psalmen der Bibel (90,12) und Jesus sagt in den Evangelien zu seinen Jüngern (und damit auch uns): „Wer kann sich sein Leben durch Sorgen denn auch nur um eine Elle (witzig, dass das früher mein Spitzname war xD) verlängern?“ Er hat so Recht: Im Vergleich zu der Ewigkeit ist unser Leben wie ein Windhauch und wie Gras, das verdorrt, während Gott und sein Wort für immer Bestand haben (Jesaja 40,8). Das macht demütig. Jeder von uns weiß, dass er mit jedem Tag dem Tod einen Schritt näher kommt und doch haben wir ihn heutzutage gemeinsam mit der Krankheit an sich aus unserem Leben verbannt: Wer seine gesellschaftliche Rolle nicht mehr ausführen kann, landet im Krankenhaus oder später im Altenheim und Hospiz und wir definieren unseren Wert über das, was wir leisten oder verzweifeln bei der Frage, was wir hinterlassen werden. Die unterschwellige Erkenntnis, dass unsere Zeit irgendwann abläuft, beunruhigt uns, deshalb verdrängen wir sie und leben so, als würden wir ewig leben. Während der Corona-Krise lag der Fokus darauf, das Leben zu schützen, doch die Frage, was das mit der Lebensqualität der heranwachsenden Generationen macht, fiel oft eher hinten hinunter. War das Vernunft? Angst? Etwas dazwischen? Ich für meinen Teil gehöre eher zu der Partei Übervorsicht und Angst, deshalb werde ich mir an dieser Stelle nicht anmaßen, ein Urteil darüber zu fällen, was gut und was schlecht gelaufen ist – den nötigen Gesamtüberblick habe ich einfach nicht.
Doch ich möchte für mich selbst eine Entscheidung zu meinem Umgang mit dem Thema Tod treffen und auch euch dazu ermutigen. Was sollen wir mit der Erkenntnis, sterben zu müssen produktiv anfangen? Wie können wir gesund damit umgehen und vielleicht sogar Angst verlieren?
n Zuerst einmal möchte ich jeden Tag dankbar annehmen, einfach, weil es der letzte sein könnte.
n Und dann möchte ich akzeptieren, dass irgendwann der letzte kommen wird. Das Gute ist aber, dass ich darüber keine Kontrolle habe, sondern nur Gott den Zeitpunkt kennt. Er weiß, wann ich sterben werde und da er allmächtig ist, heißt das schönerweise auch, dass er nicht zulassen wird, dass das zu früh passiert.
n Als nächstes motiviert mich das, die Zeit „auszukaufen“, wie die Bibel es nennt. Ich will Menschen berühren, Beziehungen pflegen, die Ewigkeitswert haben, die Leute um mich herum jeden Tag ermutigen und für Gott begeistern. Ich will in eine Zukunft investieren, die nach dem Tod kommt, weil ich hier auf der Erde eben „keine bleibende Stadt“ (Hebräer 13,14) habe, sondern jetzt schon eine Himmelsbürgerin bin.
n Ich darf mit dem Wissen leben, dass Jesus die Probleme, die wir hier auf der Erde haben, durch seinen Tod schon für immer gelöst hat – und zwar sehr viel längerfristiger – und dass „die Leiden der jetzigen Zeit kein Vergleich zu der Herrlichkeit sind, die einmal an uns sichtbar werden wird (Römer 8, 18)“. Kurz: Leid existiert, es ist Teil dieser Welt, aber es gibt mehr als diese Welt und mehr als diese Zeit und wenn wir bei Gott sind, wird es nicht mehr Teil unserer Existenz sein – in welcher Form auch immer wir diese erleben werden.
n Und damit zu meinem letzten Punkt: Jemand hat das Leben mit dem Tod mal mit dem Leben nach der Geburt verglichen: Ein Embryo – sofern er denken könnte – könnte niemals wissen, wie lange er in dem Bauch seiner Mutter bleibt, geschweige denn, was danach kommt. Er hatte schlichtweg noch nie die Möglichkeit, die in ihm angelegten Sinne zu gebrauchen, um die Welt außerhalb der Gebärmutter zu erfahren. Dennoch würde jeder Mensch (könnte er mit ihm kommunizieren) ihm versichern, dass es sich lohnt, die schwere Geburt durchzustehen, weil sich das, was danach kommt, noch viel mehr lohnt.
Zugegeben: Der Vergleich hinkt, aber ich finde ihn trotzdem sehr treffend und hilfreich.
Ich habe Gott erlebt und weiß, wo ich hingehe, wenn ich sterbe. Ich habe Angst vor den Schmerzen und Angst davor, geliebte Menschen zurückzulassen, doch ich bin sicher, dass auch diese Trennung nur zeitlich begrenzt wäre. Letzten Endes habe ich nichts zu verlieren, nur zu gewinnen und mit diesem Wissen möchte ich zukünftig als Ärztin mein Bestes geben, Menschen das Leben auf dieser Erde zu verlängern und zu erleichtern, weiß aber, dass die Kontrolle letzten Endes nur Gott hat. Er kann und wird mich gebrauchen, das ja. Aber viel wichtiger noch als die körperliche Gesundheit ist die seelische und geistliche. Das zu wissen, ist Trost und Erleichterung zugleich. Es verändert die Perspektive völlig, verschiebt den Fokus auf das, was wichtig ist und lässt gleichzeitig Raum dafür, die Sorgen und Ängste derer Ernst zu nehmen, die das nicht glauben.
Ich ermutige euch dazu, euch mit dem Thema Tod und Leben auseinanderzusetzen, nicht, weil ich euch Angst machen will, sondern, weil ich euch sagen möchte, dass es eine Hoffnung gibt, die größer als jede Angst ist:
In dieser Welt habt ihr Angst, doch seid getröstet: ich habe diese Welt besiegt. – Jesus
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