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Worship-Abend im Uni-Klinikum

Wie ein kleines Kapellen-Konzert zu einem Kampf Zwischen Hoffnung und Tod wird - und Hoffnung siegt.

Am 05.05. spielten ein paar Freunde aus der Gemeinde - Marie, Marvin, David, Axel – und ich als Band in der Krankenhauskapelle des Uniklinikums Gießen-Marburg und waren so Teil von einem kleinen Gottesdienst, an dem alle Patientinnen und Patienten, die konnten und wollten, sowie auch alle Angestellten, teilnehmen konnten. Der Abend wurde außerdem übertragen, sodass jeder zuhören konnte, den die Beine nicht mehr in den kleinen Raum im Erdgeschoss trugen.

 

 

Ich möchte hier kurz (mal sehen, wie gut das gelingt, sorry schonmal xD) von dieser Erfahrung berichten, weil sie für mich ein kleines Wunder bedeutet: Ich verstand plötzlich, was Jesus meint, wenn er sagt, dass Gottes Reich auf der Erde schon angefangen hat. Wir dürfen Teil von Veränderung sein, von Vergebung und Nächstenliebe - seine Hände, Augen, Stimme, um Menschen um uns herum zu segnen. 

 

Aber ganz von vorn: Wenn ich „Worship“ schreibe, dann sind damit gesungene Gebete gemeint, Lieder, direkt an Gott adressiert, die durch die Musik eine noch größere emotionale Tiefe erhalten. Ich glaube nicht, dass das Manipulation ist, eher andersherum: Wenn Gott selbst Musik erschaffen hat, dann dürfen wir es als Geschenk betrachten, dass wir durch sie Worte auf einer ganz neuen Ebene verstehen können, dass uns Melodie und Text in Kombination wenigstens ein bisschen von unserer ewig verkopften Denkweise weg mehr auf unsere seelische Gefühlsebene leiten. Manchmal kann ich mir auch Sätze eines Musikers leihen, die ich selbst nicht gefunden hätte, um eigene Gedanken und Sorgen auszudrücken – und genau das war es, was wir auch den Menschen im UKGM schenken wollten.

 

 

Das Ganze war allerdings von Anfang an ziemlich angefochten: Den Tag zuvor hatten wir in der gleichen Konstellation schon einmal in der lutherischen Pfarrkirche gespielt, doch ich war erkältet, hatte kaum Stimme gehabt und mitten in der Musik einen solchen Hustenanfall, dass ich minutenlang nicht mehr singen konnte. David hatte glücklicherweise übernommen, doch am Ende des Gottesdienstes war ich so müde, heiser und erschöpft gewesen, dass ich mir große Sorgen darüber machte, alle abgelenkt zu haben. Und dann nur einen Tag später dieser Worshipabend… Oh mann. Wie sollte das werden? 

 

Auch, als ich das Krankenhaus betrat, fühlte ich mich seltsam befangen. Seit meinem Praktikum auf der Onkologie waren Krankenhäuser gedanklich zu mich immer mehr mit dem Tod verknüpft: Orte ohne Wiederkehr, Endstationen, voller Tränen, Schmerz, vergeblichen Kämpfen. Und Hoffnung? Ich wusste, dass es das war, wovon wir heute singen und erzählen würden, doch in diesem Augenblick wusste ich einfach nicht mehr, ob ich das auch selbst fühlte. Was für eine Ermutigerin konnte ich dann schon sein? 

 

Doch es half nichts, ich hatte mich aus guten Gründen hierauf eingelassen und wieder einmal war ich herausgefordert, Gott mehr als meiner eigenen Kraft (emotional wie körperlich) zu vertrauen. Der kleine Raum war schnell rappelvoll und als wir dann begannen, zu spielen, geschah nach und nach etwas Unglaubliches: Zunächst einmal hatte ich wieder Stimme und konnte klar und deutlich singen – und dennoch stolperte mein Herz vor Aufregung, schmerzte mein Bauch, zitterten meine Beine. Ich fühlte die gesamte Last des Todes auf mich einprasseln, von allen Seiten, die Erinnerungen an die erstickenden, verblutenden Menschen, die ich gesehen hatte, die blutleeren, unbeweglichen Leichen im Präparierkurs. Was konnten wir hier schon ausrichten, dachte ich, und was würde ich später einmal ausrichten können, als Ärztin? Kämpfte ich nicht gegen einen übermächtigen Gegner? Der Krankenhausgeruch in meiner Nase schien mich zu verhöhnen, wie ich in meiner weißen Bluse dort vorne stand, lächelte und die Menschen um mich herum dazu ermutigte, mitzusingen. Plötzlich musste ich mich selbst an den Texten festhalten, die über meine Lippen kamen und so passierte es, dass ich mich viel stärker auf sie konzentrieren konnte, als das bei einem normalen Gottesdienst oft der Fall war, wenn ich den größten Fokus auf die Musik legen musste. Doch in diesem Augenblick betete ich wirklich.

 

„Way Maker Miracle Worker, Promise Keeper,

Light in the darkness: my God, that is who You are!“

 

Ich hatte Gott erlebt. Ich hatte für einen Patienten beten dürfen und er war geheilt worden. Ich wusste, dass er Wunder tat! Warum vergaß ich es sooft?

 

 

You are here, touching ev'ry heart… healing every heart… turning lives around...“

 

Und Gott war hier! Nicht ich war es, die hier wirkte oder heilte oder ermutigte, sondern allein schon er mit seiner Gegenwart. Dennoch fühlte ich mich weiter einem Kampf ausgeliefert: Gottes heilende Kraft gegen den Schmerz, die Trauer, den Tod um mich herum und ich zwischen den Fronten, die ich in meinem Alltag sooft verzweifelt zwischen beiden Dingen hin- und hergerissen schien.

 

Even when I don’t see it you’re, working,

Even when I don’t feel it your’re working,

You never stop! You never stop working…“  

 

Wie gut, dass mein Gefühl nichts daran änderte, ob Gott handelte oder nicht. Davon war er nicht abhängig. Aber warum mussten meine Gefühle oft so laut sein? Warum war es so schwer, den Blick auf Jesus gerichtet zu lassen, während um mich herum die Wellen tobten?

Dann, das nächste Lied:

 

„Der Tod hat verloren! Zerrissen der Vorhang!

Und Sünde und Grab schweigen vor dir.

Die Himmel laut tosend, voll Herrlichkeit lobend, weil du nun auferstanden bist.“

 

Hatte ich nicht gerade erst einen Artikel an Ostern darüber geschrieben, dass wir vor Freude doch eigentlich springen und jubeln mussten, weil der Tod nun keine Macht mehr über uns hatte? Und so sang ich die Worte „Der Tod hat verloren“ mit einer Inbrunst wie vermutlich nie zuvor in meinem Leben. Ich rief es allem entgegen, was uns hier das Gegenteil vorgaukeln wollte, sang es in die Krankenhauszimmer hinein, die Konferenzsäle, die Schwesterndienstplätze, Palliativstationen und Sprechstundenzimmer.

 

„Du hast keinen Gegner! Da ist keiner vergleichbar!“

Gott, du regierst für alle Zeit.

Dein ist das Reich und dein ist die Ehre!

Dein Name thront in Ewigkeit.

Oh, wie kraftvoll der Name ist: Der Name Jesus!

 

Jesus Name war das Geheimnis. Ich hatte schon oft erlebt, wie allein seinen Namen auszusprechen mir nachts die Albträume und Angst genommen hatte, wie er sich vor mich gestellt hatte, wenn ich von Sorgen bedroht worden war. Und nun stellten wir das gesamte Krankenhaus unter seinen Schutz: Jetzt, während des Singens, aber auch davor schon mit zwanzig jungen Medizinstudierenden, die gemeinsam für die Veranstaltung gebetet hatten. Ich kann es nicht gut in Worte fassen, doch in diesem Augenblick spürte ich die Kraft, die allein von diesem Satz ausging.

 

Saviour, he can move the mountains. My God is mighty to save, he is mighty to save!“, ging es weiter und mit jeder Zeile fühlte auch ich, wie die Angst und Anspannung endlich von mir wich und ich langsam ruhiger wurde. Dann merkte ich, wie zusätzlich eine tiefe Freude von mir Besitz ergriff, die auf die Leute um mich herum überzuschwappen schien. Viele waren aufgestanden, die Hände zum Himmel gestreckt, die Augen geschlossen. Jeder hier schien seinen eigenen Kampf zu kämpfen, seine eigene Hymne zu singen, was auch immer es war, es trieb mir beinahe die Tränen in die Augen. Eigentlich war ich nur gekommen, um zu dienen, aber hier stand ich und erfuhr selbst Heilung.

 

„Shine your light and let the whole world see: We’re singing

for the glory of the risen King!“

 

 

Licht wollte ich sein, Ermutigung für Menschen um mich herum. Und zum ersten Mal ahnte ich: Vielleicht nicht trotz meinen Ängsten und meiner Schwäche. Vielleicht gerade deswegen.  

 

Das Thema des Abends war ein Vers aus Jesaja, Kapitel 40:

 

Die Jungen werden müde und matt, / junge Männer stolpern und stürzen. Die aber, die dem Herrn vertrauen, / schöpfen neue Kraft, / sie bekommen Flügel wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, / sie gehen und werden nicht matt.

 

Das erlebte auch ich in diesem Moment. Der Krankenhausseelsorger hielt einen kurzen Input über das Thema Tod und Ewigkeitsperspektive und teilte mit uns, wie er in seinem Alltag hier mit Patientinnen und Patienten die unterschiedlichsten Erfahrungen machte. Ein Bild aus seiner eigenen Kindheit war sehr treffend. „Als ich klein war, war das erste mal jemand aus meiner Nachbarschaft gestorben und ich sagte damals zu meinem Vater: Ich will nicht in den Himmel, da ist dieses Haus nicht und die Menschen um uns herum und alles, was ich so liebe. Daraufhin erwiderte sein Vater: Doch, mein Sohn, im Himmel wirst du alles haben, was du brauchst und noch viel Schöneres. Aber du hast Recht, ein paar Sachen gibt es dort tatsächlich nicht mehr. – Und was? – Den Schmerz, deine Tränen, Tod, Hass… All das gibt es dann nicht mehr.“

 

Es klingt kitschig ich weiß. Aber ich habe Gott in meinem Leben erlebt und ich habe erlebt, dass ich der Bibel vertrauen kann. Sein Wort ist lebendig und spricht in mein Leben, jeden Tag aufs Neue, wenn ich mir die Zeit nehme, sie zu lesen. Und in eben dieser Bibel, der ich vertraue, heißt es in dem Buch Offenbarung: 

 

Er wird ihnen alle Tränen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid, keine Klage und keine Schmerzen; denn was einmal war, ist für immer vorbei.

 

Wir brauchten mehr von dieser Hoffnung in Krankenhäusern, in Arztpraxen, in persönlichen Begegnungen und Gesprächen! Es war meine Aufgabe, noch mit allen zu beten und wie sooft hatte ich das Gefühl, dass Gottes Geist in diesem Moment einfach meine Stimme übernahm und meine Worte führte. Ich teilte all das, was ich empfunden hatte in den letzten Minuten, betete für Hoffnung, Heilung und Gottes Hilfe und weil es mir so in den Sinn kam las ich auch die Verse des vorletzten Liedes noch einmal als Gebet vor: 

 

„Gott, du bist größer, höher, weiter als der Himmel

Und deine Liebe ist tiefer als das Meer.

Und was du sagt, das bleibt für alle Zeit, darum halt ich fest an dir!

Jesus du thronst, hoch über allem, - und hier tauschte ich das eigentliche ich gegen ein „wir“ - :

Wir wollen dich ehren, mit allem was in uns ist!

 

Wir werden deine Wege nie ganz verstehn‘,

Wir können dich nicht greifen, aber unser Herz kann dich sehen!“

 

Als letztes Lied sangen wir ein Segenslied und ich stellte mir vor, wie Gottes leuchtender Segen sichtbar die Gänge dieses Krankenhauses flutete und sich wie eine schützende Decke auf die Menschen hier legte. Eine alte Frau in der letzten Reihe hatte ich besonders auf dem Herzen und so sah ich sie während des ganzen Liedes lächelnd an, um ihr diesen Segen zuzusingen. Im Anschluss durfte ich noch für sie beten: Sie hatte Parkinson und war hier, um für die Tiefenstimulation vorbereitet zu werden und ich war von einer großen Dankbarkeit erfüllt, wenigstens im kleinen Rahmen einen Unterschied für die Menschen hier machen zu dürfen – und wenn das hier heute Abend nur einen einzigen ermutigt hatte, dann war es das wert gewesen!

 

Ich hatte Gottes Präsenz in dem Raum so stark erlebt und merkte erst jetzt, als wir langsam die Instrumente abbauten, wie erschöpft ich war. Die Bauchschmerzen kamen mit voller Wucht zurück, aber er hatte mir die Kraft gegeben durchzuhalten und Freude über das Erlebte prickelte durch meine Adern wie Feuer.

 

Gott existiert! Er heilt! Er hat den Tod besiegt! Und er wird mich keine Sekunde in meinem späteren Berufsleben alleinlassen. Daran darf ich mich festhalten. Immer. 

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