18. 06. 2023
Ich sitze gerade auf dem Boden (ja) eines übervollen Zuges von Münster zurück nach Marburg und bereue trotzdem mit keiner Faser, die Taufe einer guten Freundin besucht zu haben, mit der ich damals eine Zeit lang zusammen in Peru einen Freiwilligendienst gemacht habe. Der Gottesdienst hat einerseits im modisch geräumigen Gemeindehaus stattgefunden und anschließend noch im Kanal, wo sechs Menschen in der Mittagshitze nach außen hin symbolisch zeigten, dass sie ihr Leben mit Jesus leben und ihr altes Leben hinter sich lassen wollten.
Trotz der brennenden Sonne, der kurzen Nacht und der langen Hinfahrt berührte mich das Ganze sehr. Es erinnerte mich an meine eigene Taufe mit 16 Jahren und weil ich momentan zu müde bin, um irgendetwas „Neues“ und „Kreatives“ zu Papier zu bringen, möchte ich einfach einmal von diesem Tag erzählen, der in meinem Leben eine besondere Rolle gespielt hat – und immer noch spielt. Vielleicht ist es für diejenigen von euch interessant, die mit christlichem Glauben – geschweige denn Gott – nicht viel anfangen können und möglicherweise ermutigt es die anderen, sich dankbar an ihre eigene Taufe zu erinnern – oder sich damit auseinanderzusetzen, ob dieser Schritt vielleicht noch dran ist.
Zur Erklärung muss ich vielleicht kurz hinzufügen, dass ich ursprünglich aus einer Baptistengemeinde komme. Das ist evangelische Freikirche, allerdings mit dem Unterschied, dass man sich dort erst taufen lässt, wenn man eine eigene, bewusste Entscheidung dafür treffen kann – und nicht als Baby. Die Meinungen zu diesem Thema sind unter Christen divers, aber ich verstehe die Bibel so, dass die Taufe der Schritt ist, der meist auf eine Abkehr vom alten Lebensstil und ein bewusstes Commitment für Jesus folgt. Der erste getaufte Christ in der Bibel war ein äthiopischer Kämmerer – ein Eunuch, interessanterweise – der aus rationalen Gründen zu dem Schluss kam, dass das mit Jesus Sinn ergab und sich dann fragte, wie er nun richtig auf diese Erkenntnis reagieren sollte. „Wo ist Wasser, auf dass ich mich taufen lasse?“, fragte er den mitreisenden Philippus, der ihm kurz zuvor das alte Testament im Hinblick auf Jesus erklärt hatte.
Obwohl ich mich sehr freue, mich bewusst an den Tag meiner Taufe erinnern zu können, hat die Herangehensweise, mit der ich aufgewachsen bin, auch bewirkt, dass ich mich immer fragte, wann ich denn nun bitte „bereit“ für diesen Schritt sein sollte. Wann war ich „fest“ genug in meinem Glauben und meinen Überzeugungen, als Christin „gut genug“, um mich auch taufen lassen zu können? Im Rückblick weiß ich, dass das Unsinn war – und auch in keinem Fall so, wie die Bibel die Taufe versteht. Es geht hier nicht um ein Zertifikat, die Gemeindezugehörigkeit auf dem Papier, oder eine Auszeichnung als „gute Christin“, sondern einfach um die Botschaft nach außen, mich von nun an (und in meinem Fall ja auch davor schon) bewusst darauf zu berufen, zu Jesus zu gehören, mein altes Leben mit allen egoistischen Wünschen und Überzeugungen abzugeben, seine Vergebung und verändernde Kraft anzunehmen und fortan mit seiner Hilfe mein Leben zu gestalten. Taufe ist ein Symbol für neues Leben: Der alte, verlorene Mensch stirbt im Wasser, wird aber durch Jesus‘ Tod gerettet, gereinigt und neu gemacht. „Wenn wir mit Christus sterben, werden wir auch mit ihm leben.“, heißt es in der Bibel und mir ist bewusst, dass das reichlich kryptisch wirkt, aber was gemeint ist, erklärt sich für mich noch genauer anhand von Römer 8: „Seine verändernde Kraft, die Tote auferweckt, wirkt auch in mir.“
Es dauerte bis zu meinem 16. Lebensjahr, aber schließlich begriff ich, dass ich mit der Taufe nicht warten musste, bis ich mich dazu „gut genug“ fühlte. Im Gegenteil: Sie markierte viel mehr einen Startpunkt meines Lebens mit Gott, der darüber hinaus viel authentischer wurde, wenn ich dazu stehen konnte, ein unperfekter Mensch mit Schwächen und Fehlern zu sein – denn genau so war ich Gott nicht zu schmutzig, verloren und „unbrauchbar“, um eine Beziehung zu mir zu führen. Dabei ging es nicht um Leistung und Fortschritt, sondern einfach um Sein: Versöhnung im Hier und Jetzt, nicht erst, wenn ich dazu „bereit“ war. Was es dazu lediglich brauchte, war der ehrliche Wunsch in mir nach Veränderung. Nur wie? Woran ließ sich die messen, wenn ich die eigentliche Entscheidung, Christin zu werden und Jesus nachzufolgen, bereits mit 14 getroffen hatte?
Ich erwartete also nicht wirklich eine Veränderung. Ich wusste: Ich wollte getauft werden, ganz offiziell nach außen sichtbar Teil von Gottes Familie und Gemeinde sein, nicht mehr aus eigener Kraft leben, sondern aus seiner. Aber ich rechnete nicht wirklich damit, dass sich noch einmal viel ändern würde. Nun ja - Spoiler Alert: Ich wurde überrascht.
Ich hatte als Kind und auch als Teenagerin immer viel mit Ängsten zu kämpfen. Letzten Endes war die Wurzel davon nicht, dass ich Gott nicht vertraute, einen Plan für mein Leben zu haben, sondern der Gedanke, dass mir dieser Plan womöglich nicht gefallen würde. Alles in mir sträubte sich dagegen, Kontrolle von den Dingen abzugeben, bei denen ich mir einredete, sie besser selbst in der Hand zu behalten. Das alles gipfelte in einer Essstörung, an der ich in demselben Alter erkrankte und dennoch war Gott zu dieser Zeit weiterhin mein Anker. Gerade weil alles um mich herum kurz vor einem Kollaps zu stehen schien, wusste ich, dass ich eine Wahl treffen musste: Depressionen, Ängste, Krankheit, Schlafstörungen… mit oder ohne Gott? Ich wusste instinktiv, dass „ohne Gott“ nicht die Alternative war. Natürlich hatte ich keine „Sicherheit“, ich musste ihm vertrauen, dass es ihn gab, dass er mich da rausholen konnte – denn ohne ihn, das spürte ich, war ich ohnehin verloren. Letzten Endes blieb mir keine andere Wahl, als alles auf diese eine Karte zu setzen.
Und so kam es, dass ich nach und nach Folgendes begriff: Wenn ich glaubte, dass Gott allmächtig und allwissend war – und das tat ich, wollte es, mit aller Kraft – und darüber hinaus auch noch glaubte, dass er mich liebte… - dann war sein Plan mit meinem Leben besser als jeder, den ich mir selbst ausdenken konnte. Mein Leben seiner Führung anzuvertrauen war demnach die weiseste Entscheidung, die ich treffen konnte, denn ich war gerade mitten dabei, sehr deutlich zu erleben, wo es endete, wenn ich versuchte, alles unter Kontrolle zu behalten.
Und so beschloss ich, unperfekt, erschöpft, rastlos, überfordert, alles andere als „vorbildlich“ und irgendwie "reif“, mich öffentlich taufen zu lassen. Ich nahm an einem Taufkurs teil, der mir noch einmal bestätigte, dass ich nicht erst besonders „heilig“ sein musste, sondern, dass heilig einfach bedeutete, Gott zu gehören und für ihn bestimmt zu sein. Das wollte ich und es erleichterte mich zutiefst, dass ich dafür primär erst einmal nur einen Entscheidung treffen und gar nichts praktisch tun konnte. Er war es, der mein Innerstes veränderte: In mir sogar das „Wollen“ schenkte, das ich selbst gar nicht produzieren konnte.
Am Tag meiner Taufe, es war Pfingsten 2017, schien die Sonne strahlend vom Himmel und für einen Tag schien mein gesamter innerer Kampf von der Vorfreude und Aufregung überdeckt zu werden. Viele meiner Freunde und Bekannten waren gekommen, was mir viel bedeutete, weil die meisten davon mit Kirche und Glaube eigentlich nicht viel anfangen konnten.
Ich weiß noch, dass ich aufgeregt das Glaubensbekenntnis in Liedform sang und aus vollem Herzen „boldly I approach your throne“. Alles in mir kribbelte, aber erst, als ich vor dem Taufbecken stand, spürte ich, wie plötzlich (kein Scherz!) eine Stimme in meine Gedanken hineinsprach, die unverkennbar nicht meine eigene war. Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper. Und die Worte, die ich hörte, waren einfach, klar, prägnant: Ich kann dich heilen, wenn du willst.
Und was dachte ich, antwortete ich? Nein, Gott. Ich kann nicht. Dann nehme ich ja wieder zu.
Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie lange ich gebraucht habe, mir diesen Moment zu verzeihen. Ich stand damals noch ziemlich am Anfang meiner Essstörung und vermutlich wäre mir und meiner Familie rückblickend viel Leid erspart geblieben. Aber in diesem Augenblick konnte ich nicht anders. Ich war einfach nicht in der Lage, eine andere Entscheidung zu treffen. Und Gott war geduldig, gnädig, treu. Im Wasser konnte ich kaum noch abwarten. Ich wollte endlich untertauchen, all das begraben, was mich immer wieder dazu verleitete, meine Augen vor Gott zu verschließen und andere Dinge – vor allem mich selbst – in den Fokus zu nehmen. Ich wollte so sehr rein sein. Neu.
Es wirkt vielleicht seltsam, weil Taufe ja „nur“ ein Symbol ist, aber ich glaube, dass es noch weit darüber hinausgeht. Dieses öffentliche Bekenntnis hat Kraft. Vor Gott, den Menschen, mir selbst und der unsichtbaren Welt, von der ich überzeugt bin, dass es sie gibt. Aus dem Wasser aufgetaucht war in mir die Gewissheit ganz fest, dass mich niemand mehr aus Gottes Hand reißen konnte. Und ich erlebte das erste Mal in meinem Leben die Kraft von seinem Geist, die mich durchströmte. Reine, sprudelnde, tiefe Freude, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte. Sie verließ mich nicht, als wir am Nachmittag mit Freunden und Familie feierten, sie wich auch in den folgenden, oft schweren Monaten nicht von mir und sie ist bis heute Teil von mir insofern, dass mir dieser Moment und das Versprechen, das Gott mir bereits vor meiner Entscheidung für ihn längst gemacht hatte, Halt und Kraft schenkt, wenn ich einmal nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Ich kann dann wie einen „Outzoom“ vollziehen und die Dinge erhalten ihre Wichtigkeit und Prioritäten-Ordnung zurück:
Eine nicht bestandene Prüfung? – Unwichtig im Vergleich zu der Ewigkeit, die bei Gott auf mich wartet.
Das Problem eine Nachmieterin zu finden? – Vergleichsweise gering, wenn ich vertrauen kann, dass er mich finanziell versorgt.
Die Möglichkeit, in eine andere Uni-Stadt gelost zu werden, in der mein Verlobter nicht studieren kann? – Nicht allzu beunruhigend mit dem Wissen, dass Gottes Plan der Beste ist – in jedem Fall.
Die Frage, wie schlau es ist, jung zu heiraten? – Ein schönes Wagnis, weil ich weiß, dass er die Basis ist, die standhält.
Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass meine Taufe zu den schönsten Erlebnissen meines bisherigen Lebens gehört – und vermutlich zu den wichtigsten Entscheidungen, die ich je getroffen habe und jemals treffen werde. Jeden, der überlegt, ob das möglicherweise dran sein könnte, kann ich dazu nur ermutigen – es lohnt sich! Und soweit ich weiß, ist bisher noch jeder wieder aufgetaucht ;)
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