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Learnings from Physikum II - Über die Demut

 

Kurz vorab: Wäre ich in irgendeiner Weise wahrhaft demütig, dann würde ich diesen Artikel hier nicht schreiben. Dann müsste ich nicht verarbeiten, dass mein Stolz verletzt wurde – dann würde mich das Thema vermutlich weder besonders tangieren, noch herausfordern. Und wenn es mich nicht herausfordern würde, ich also tatsächlich demütig wäre, dann würde ich erst recht nicht darüber schreiben – denn das wäre auch schon wieder stolz. Kompliziert, diese ganze Sache.  

 

„Dann ist man demütig… Und dann wird man wieder stolz auf seine Demut…“

Damit trifft Blaise Pascal es meiner Meinung nach ziemlich gut auf den Punkt.  

 

Ich komme darauf, weil ich seit meiner mündlichen (und eigentlich auch schriftlichen) Physikums-Prüfung ziemlich daran zu knabbern habe, dass mein Selbstbild und auch mein Selbstbewusstsein unter den Ergebnissen gelitten haben, die ich – gemessen rein an meinem Lernaufwand – nicht erwartet hatte. Nicht bewusst, natürlich. Wenn man mich vorher fragte, was ich mir von der Note erhoffte, dann war meine ! ernst gemeinte ! Antwort stets, dass ich einfach nur bestehen wollte. Niemanden in der Zukunft – und auch im Himmel – würde es interessieren, ob ich letzten Endes nun mit einer 1, 2, oder 3 abgeschlossen hatte, aber mich interessierte es.

UNd ich merkte, wie es an mir nagte, dass „mein Bestes“ nicht für „das Beste“ gereicht hatte.

Was sagte das nun über mich aus? War ich in irgendeiner Form nicht klug genug? Warum studierte ich dann etwas, das mir offensichtlich nicht 100%ig lag, das mir schwerfiel und vielleicht gar nicht für mich gemacht war? Und wieso beschäftigte mich das so sehr, weshalb konnte ich mich nicht einfach mit dem Prädikat „bestanden“ zufriedengeben?   

 

Normalerweise ist mein Selbstbild relativ stabil und external geprägt: Das 20% schlechtere Ergebnis des ersten Prüfungstages schob ich auf Kopfschmerzen, Aufregung, Menstruationsschmerzen und darauf, dass ich Physik und Chemie eben nicht in der Oberstufe gehabt hatte. Aber dass es am Ende 8 Kreuzchen an der 2 vorbeigerutscht war und auf dem Abschlusszeugnis dann nicht 2,6 sondern einfach nur „drei“ stand, frustrierte mich schon ein wenig. Nun ja, ein bisschen war an meinen „Ausreden“ sicherlich dran. Aber wie sehr hätte ich mir wenigstens von der mündlichen Prüfung gewünscht, zumindest ein bisschen von dem zeigen zu können, wovon ich eigentlich überzeugt war, es zu beherrschen. 

 

 Die Prüfungssituation war leider etwas unangenehm. Ich meine, ich will mich nicht beschweren, immerhin hatte ich nicht bereits vier Tage nach der schriftlichen Physikumsprüfung meine mündliche und insgesamt sogar relativ nette Prüfer abbekommen, von denen einer am Tag selbst dann jedoch gar nicht erschien. Altprotokolle, Adieu. Und von drei Prüflingen war ich auch noch die dritte, was bedeutete, dass ich mir in jedem Fach zuerst 40 Minuten lang anhören musste, wie meinen Kommilitonen genau die Fragen gestellt wurden, die ich gern beantwortet hätte. Wenn man normalerweise die Antwort auf eine Frage weiß, kann man sich melden, doch in diesem Setting war das tatsächlich nicht möglich und so litt ich innerlich und schwitzte Blut und Wasser bei jedem Thema, zu dem ich mich eigentlich gut vorbereitet hatte – und das ich nun nicht mehr geprüft werden konnte. Für mich war das tatsächlich die reinste Folter.  

 

Aber von Anfang an: Natürlich waren wir alle unheimlich aufgeregt und in meinem Fall kann man zwar nicht direkt von Prüfungsangst sprechen, wohl aber davon, dass ich mich die ganze Zeit fragte, ob ich mir wohl in die Hose machen würde, bevor ich umkippen, kotzen oder an einem Herzanfall sterben konnte. Vier Stunden waren für das gesamte Procedere angesetzt worden und mir hätte eigentlich bereits eine Stunde eindeutig gereicht. Wir begannen mit Anatomie und das lief eigentlich noch ganz gut: Ich erkannte die histologischen Präparate, nutzte die Zeit, um mir reichlich Notizen zu machen und ging dann ein wenig gelassener mit den anderen hinüber in das Gebäude auf der anderen Straßenseite, in dem wir geprüft werden würden. 

Bereits beim Betreten des Raumes bemühte ich mich, höflich, freundlich und gelassen zu wirken, doch uns wurde, ohne, dass wir bei dieser Entscheidung mitwirken konnten, einfach eine Reihenfolge zugeteilt: Und natürlich war ich die Letzte von uns dreien, wovor wir uns wirklich alle gefürchtet hatten. Ich bemühte mich, trotzdem tief durchzuatmen, die Schultern zu straffen und mein Schicksal hinzunehmen: Unfair konnte es schon nicht werden, oder? Und mein Herz raste ohnehin schon so sehr, dass mir ein paar Minuten Beruhigung vermutlich guttun würden.

 

Nachdem ich Anatomie relativ zufrieden absolviert hatte, ging es an das Thema Physiologie. Ich hatte mich – natürlich noch in der Erwartung, es genau mit dem Prüfer zu tun zu bekommen, auf den ich mich vorbereitet hatte – besonders intensiv mit dem Thema Niere auseinandergesetzt und so entglitten mir beinahe die Gesichtszüge vor Ernüchterung, als der erste Prüfling natürlich genau dieses Thema gefragt wurde. Und zudem bei vielen Fragen auch noch ziemlich herumstotterte.  

 

„Was fallen Ihnen für Mechanismen der Autoregulation ein?“, fragte ihn die Prüferin.  

„Ehh… die Autoregulation im Vas afferens?“  

„Genau und mit welchem Stoff…?“ 

„Das… Keine Ahnung…“ 

Adenosin!, dachte ich, Adenosin aus den extraglomerulären Mesangiumszellen!  

„Es fängt mit A an…“  

 

Und dann: „Welche Teile der Barriere des Glomerulums kennen Sie denn? Ja, genau und warum kommen die Proteine da nicht durch?“  

„Wegen der Schlitzmembran?“ 

Wegen der negativ geladenen Glykokalix!  

 

Und so ging es weiter. Jede einzelne Frage hätte ich beantworten können und selten war es mir so schwergefallen, meinen Mund zu halten. Innerlich wand ich mich jedes Mal, mit düsteren Sorgen dazu, was ich denn wohl gefragt werden würde. Auch die Prüfung danach hätte ich relativ gut gemeistert:  

 

„Was heißt denn genau „CNG-Kanal“?“, erkundigte sich die Prüferin im Rahmen der Herzerregung und ich hätte meiner Kommilitonin am liebsten „Cyclic nucleotide gated“ zugeflüstert, „wegen cyclischem Adenosinmonophosphat", schaffte es allerdings mit Müh und Not, ruhig sitzen zu bleiben. „Und beim Apnoetauchen, warum werden einige der Taucher da bewusstlos?“ – Wegen des erhöhten Sauerstoffpartialdruckes im Blut…  

 

So weit so gut. Vielleicht würden meine Fragen ja ähnlich machbar sein. Doch als es dann bei mir plötzlich um den Einfluss von Hypoxie in Gefäßen ging, wusste ich irgendwie überhaupt nicht, worauf sie hinauswollte. Gähnende Leere in meinem Kopf. Weiße Gemälde auf weißen Wänden.  

Weiter ging es mit Protonen und deren Wirkung an irgendwelchen Kanälen und ich kam zwar noch auf glatte Muskulatur, darüber hinaus war meine Physiologie-Prüfung allerdings wirklich ziemlich seltsam. Neben mir registrierte ich, wie auch die anderen Anwesenden ratlose Blicke austauschten und ich musste mich sehr zusammenreißen, wenigstens noch irgendetwas halbwegs Sinnvolles von mir zu geben.  

Nach Physiologie machten wir eine Pause und ich hatte bereits jetzt die Sorge, durchgefallen zu sein. „Was wollte die denn bitte von dir wissen?“, erkundigte sich die Freundin, mit der ich auch zusammen gelernt hatte, bei mir und bestätigte mich zumindest dahingehend in meiner Ratlosigkeit, dass ich mich ein kleines bisschen besser fühlte.  

 

In Biochemie ging es dann fröhlich weiter in der ersten Prüfung mit lauter Themen, die ich tatsächlich gern bekommen hätte: Leukotriene und Arachidonsäure-Derivate, Kollagen, Elongationsfaktoren, Ubiquitinylierung und Blutgerinnungskaskade. Easy. 

 

Er hat die Peroxidase-Reaktion vergessen, ergänzte ich in Gedanken, und die Umlagerung findet an Position 9 und 10 statt.  

Serin wird an Position 530 transacetyliert. Und im Rahmen der Ubiquitin-Ligase reagiert Glycin an Position 76 mit dem Serinrest. Je nach Lysin-Rest 63 oder 48 handelt es sich um einen Abbau im Proteasom oder in den Lysosomen. Auch die Kollagen-Synthese hätte ich komplett herunterbeten können.  

  

Allein die Tatsache, dass ich das alles noch im Kopf habe, beweist, wie sehr es mich wurmte, nicht wenigstens einmal im Rahmen dieses Studiums zeigen zu können, dass ich die Themen beherrschte.

 

Natürlich hätte ich die gesamten Positionen nicht können müssen, aber ich konnte sie nun einmal und hatte nun nicht die Gelegenheit, die Professoren damit zu beeindrucken. So oft hatte ich das Gefühl gehabt, hinten dran zu hängen, mich mehr anstrengen zu müssen, als andere – und hier saß ich, hatte diese ganzen Fakten irgendwie doch noch in meinen Kopf bekommen – und wofür nun? Ich wurde sie nicht einmal gefragt. Jede Aufgabe, die ich mit ziemlich detailliertem Faktenwissen hätte beantworten können und auf die ich nicht reagieren konnte, war ein brennender Pfeil für meinen Stolz. Ich gebe es zu: Es ging mir nicht so sehr um die Abschluss-Note, aber für einen kleinen Moment, in dem ich flexen konnte, für ein überraschtes Heben der Augenbraue meines Prüfers, für einen einzigen, kurzen, anerkennenden Blick hätte ich in diesem Augenblick vermutlich so ziemlich alles gegeben. 

 

Stattdessen wurde ich in meiner letzten Biochemie-Prüfung nicht beide Bereiche der Biochemie sondern nur Molekularbiologie und Tumorbiologie gefragt. Natürlich hatte ich mir das aufgrund der beruflichen Schwerpunktsetzung meines Prüfers noch einmal angesehen, aber dass ich nur so einseitig geprüft wurde, fand ich dann doch etwas schade. Alles in allem lief Biochemie in Ordnung, doch in den letzten fünf Minuten sah ich – vermutlich, weil mein Herz nun schon seit Stunden viel zu schnell schlug – plötzlich nur noch weiße, durch den Raum tanzende Punkte vor meinem inneren Auge. Für die Konzentration natürlich auch nicht unbedingt förderlich.  

 

Irgendwie schaffte ich es dann doch noch, nicht vom Stuhl zu fallen und während wir für die Besprechung unserer Noten aus dem Raum gerufen wurden, zitterte und bangte ich ziemlich um mein „bestanden“. Am Ende war es bei mir überraschenderweise eine zwei, doch allein die Tatsache, dass der erste Prüfling mit seiner Traum-Prüfung eine Eins bekommen hatte, ließ ein wenig Bitterkeit in mir aufsteigen. Nicht, weil ich mich nicht für ihn freute, aber weil ich wusste, dass ich einige Dinge gewusst hatte, die er nicht hatte sagen können und weil es mich frustrierte, wie willkürlich die Prüfungen letzten Endes gelaufen waren. Dass ich mit seiner Prüfung ebenfalls eine Eins bekommen hätte, verletzte meinen Stolz zutiefst und so sehr ich es auch versuchte – irgendwie konnte ich mich kaum über meine Zwei freuen. Von einem „Gut“ hätte ich vorher noch nicht einmal zu träumen gewagt, doch nun, wo ich wusste, dass es durchaus auch eine Eins hätte werden können, fühlte ich mich ungerecht behandelt. 

 

Ich schreibe das hier nicht gerne auf, echt nicht. Das sind die dunkelsten Ecken meines gekränkten, stolzen Herzens und ich bin so froh, dass Jesus mich liebt und mir vergibt, - obwohl er mich kennt. Besonders frustrierend ist das Ganze, weil ich in den letzten vier Semestern eigentlich so froh darüber gewesen war, dass mir das Bestehen im Gegensatz zu früher in der Schule mittlerweile reichte – und ich nicht mehr die 80, 90, 100% bekommen musste, um mit mir selbst zufrieden zu sein. Aber wenn – anders als bei dem bekannten Pareto-Prinzip – nicht meine 20% Leistung für 80%, sondern meine 100% Leistung nur für noch nicht einmal 80% gereicht hatten… - dann fragte man sich natürlich schon, was das über einen aussagte. Bin ich vielleicht einfach nicht schlau genug? Wieso fällt mir das alles so schwer? Ich dachte immer, ich bin klug, habe ich vielleicht mein ganzes Leben lang einer Lüge geglaubt? Bin ich überhaupt geeignet für dieses Studium, diesen Job, diesen Weg, den ich eingeschlagen habe…? Selbstzweifel schossen beinahe augenblicklich in mir hoch und ich merkte, dass ich es satt hatte, in diesem Studium nur eine Nummer zu sein. Wenigstens einmal wollte ich gesehen werden, bemerkt. Weil ich stolz war. Und: Verunsichert. Beides geht möglicherweise öfter Hand in Hand, als uns das auf den ersten Blick bewusst ist. Ich hatte bereits jetzt schon so viel meiner Energie und Lebenszeit in dieses Studium investiert – und hatte nie das Gefühl, in irgendeiner Form persönlich Lob und Anerkennung dafür zurück zu bekommen. Möglicherweise lag das daran, dass es sich bei beidem um meine Haupt-Liebessprache handelte, doch wenn ich mir – unterbewusst zwar, aber trotzdem - mit Leistung Liebe verdienen wollte, dann war es wirklich höchste Eisenbahn, etwas zu ändern! Ich lag mit meinem Ergebnis laut dem Zeugnis, das ich einige Wochen später zugeschickt bekam, deutschlandweit nur knapp über dem Durchschnitt – und hasste es. Und ich hasste, wie sehr ich das hasste. Denn eigentlich sollte es mir doch wirklich egal sein. Mein Wert hing nicht davon ab. Mein Studium hing nicht davon ab. Ob ich einmal eine gute Ärztin werden würde, hing nicht davon ab – im Gegenteil. Und dennoch… lies es mich nicht kalt, wie willkürlich sich dieses Ergebnis anfühlte. Es passte nicht mit dem Bild zusammen, das ich von meiner eigentlichen, bisherigen Leistung in diesem Studium und von mir selbst hatte. Das Gefühl dieser kognitiven Dissonanz lies mich selbst in der Nacht nach der Prüfung noch dutzende Male die Situation durchleben und am nächsten Morgen schaffte ich es nach frühem Erwachen trotz völliger Übermüdung nicht, wieder einzuschlafen, weil ich mich so sehr über mich selbst – und vor allem über die „verpasste Chance“ ärgerte, die ich nun „nie wieder“ bekommen würde.  

 

 Okay… das war jetzt ziemlich ehrlich und vor allem relativ viel Frust für einen einzigen Artikel, aber es hat mir auch geholfen, das Ganze noch einmal aufzuarbeiten und zu dem Punkt zu kommen, auf den ich eigentlich hinauswill: Demut. Offensichtlich gibt es bei mir da noch einiges an Lernbedarf und deshalb möchte ich euch an dieser Stelle in meine Suche nach dem richtigen Umgang damit hineinnehmen und einmal darauf eingehen, was die Bibel darunter versteht, welche Tipps Jesus gibt und weshalb dieser Wert gerade in unserer individualistischen, westlichen Kultur so brandaktuell und wichtig ist.  

 

Zuerst einmal zur Begriffserklärung: „Demut bedeutet nicht, gering über sich selbst nachzudenken, sondern einfach weniger.“ hat der US-amerikanische Pastor Rick Warren einmal gesagt. In meinen Augen (through the eyes of a believer, haha xD) ist das ein sehr weiser Satz – gerade, weil ich bereits von beiden Seiten vom Pferd gefallen bin.  

 

In der Grundschulzeit fiel mir damals alles recht leicht, ich war zugegebenermaßen auch einfach etwas später eingeschult worden und konnte daher schon lesen und schreiben. Mit meinen sieben Jahren hatte ich so meine Schwierigkeiten, nachzuvollziehen, warum andere Kinder damit größere Probleme hatten und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ein dunkler, böser Teil von mir das genoss. Ich fühlte mich klüger als sie – und zeigte das auch. Dass ich zusätzlich noch jeden denkbaren Wettstreit in der Grundschule von Rezitatoren- und Vorlesewettbewerb über Malwettstreit bis zur Mathematik-Olympiade gewann, trug auch nicht gerade dazu bei, dass ich demütiger und meinen Klassenkameraden sympathischer wurde. Würg. Doch schon damals wurde mir deutlich signalisiert, dass mit solch einer Arroganz niemand gut klarkam – und so verbrachte ich dutzende Pausen allein weinend auf der Schultoilette damit, mich verzweifelt zu fragen, wie ich mein Leben wohl ändern konnte.  Auf dem Gymnasium gelangte ich dann schließlich zu der Ansicht, zu wissen, worin das Problem bestand – und wie ich es lösen konnte.

 

Anstatt wahrhaft demütig zu werden, dachte ich damals jedoch, dass ein geringes Selbstwertgefühl mir vermutlich mehr Freunde einbringen würde.

Ich begann, meine Gaben herunterzuspielen und mich kleinzureden: Erst vor anderen und schließlich auch vor mir selbst und vor Gott. Überall begann ich nun, mich sozial kaputtzuarbeiten, um mir Sympathie zu verdienen.

Tatsächlich fand ich so in meinem Umfeld viel mehr Anschluss als zuvor, doch im Rückblick weiß ich, dass ich damit immer noch nicht auf dem richtigen Weg war: Ich kreiste nämlich immer noch zu viel um mich selbst, wenn nun auch in einer negativen Art und Weise. Und der Gipfel davon – ihr wisst es vermutlich – endete in einer Essstörung.  

 

Erst durch diese Erfahrung lernte ich, was es bedeutete, wenn ich wirklich aus eigener Kraft heraus versuchte, mein Leben auf die Reihe zu bekommen: Es fraß mich von innen auf. Mein Selbstanspruch, gepaart mit der Frustration darüber, eben doch nicht perfekt zu sein, hatte hohes Potenzial, mich zu zerstören. Gottes Rettung daraus bestand zum einen darin, mir liebevoll beizubringen, die Kontrolle an ihn abzugeben, zum anderen aber auch darin, mir dabei zu helfen, meinen Blick von mir weg mehr auf ihn zu richten. Ich sage nicht, dass ich dieses Ziel schon erreicht habe. Vermutlich spricht allein die Tatsache, dass ich mich auf Social Media und eben auch im Rahmen dieses Blogs selbst verwirkliche, dagegen. Aber mein Anliegen hier ist es, nicht auf mich selbst hinzudeuten, sondern eine Brille zu sein: Durch Erfahrungen, die ich selbst gemacht habe, möchte ich andere ermutigen und denen, die Gott vielleicht noch nicht so persönlich erlebt haben, eine Stütze sein, besser auf ihn sehen zu können.  

 

Aber wie ging es nach meinem Abitur weiter? In meinem Medizinstudium so ganz ohne Noten merkte ich erleichtert, dass ich nicht mehr den Anspruch hatte, alles perfekt zu erledigen. Mir reichte das „bestanden“ völlig aus und dafür brauchte ich keine 100%, noch nicht einmal die 70%, die ich im Durchschnitt oft erreichte. Eine wunderschöne Beziehung, ein stabiles Umfeld in der Gemeinde und eine hohe Auslastung an der Universität ließen mich wirklich glauben, dass mir die eigene Leistung mittlerweile egal geworden war – und ich damit zufrieden war, einfach „durchzukommen.“ Ich war der festen Überzeugung, aus meiner Vergangenheit gelernt zu haben und ein Stückchen demütiger geworden zu sein. Und dann… das. Das mündliche Physikum führte mir deutlicher vor Augen, wie sehr ich mich weiterhin vor mir selbst und anderen beweisen wollte, als mir lieb war.  

 

Wie mache ich jetzt also weiter? Was möchte ich aktiv ändern und wie kann mir die Bibel dabei helfen?  

 

Gottes Königreich – das er bereits jetzt schon baut und an dem wir aktiv mitwirken können – ist in vielerlei Hinsicht ein „upside-down-kingdom“:

Nicht „Der frühe Vogel fängt den Wurm“, sondern „Die Letzten werden die Ersten sein“, und nicht „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“, sondern „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden“.  

 

Jesus erzählt in Lukas 14, 7-11 als Reaktion auf unverschämte Zuhörer folgendes Gleichnis:  

 

Wenn du von jemand zur Hochzeit eingeladen wirst, dann besetze nicht gleich den Ehrenplatz. Es könnte ja sein, dass noch jemand eingeladen ist, der angesehener ist als du. Der Gastgeber, der euch beide eingeladen hat, müsste dann kommen und dir sagen: ,Mach ihm bitte Platz!‘ Dann müsstest du beschämt ganz nach unten rücken. Nimm lieber von vornherein den letzten Platz ein. Wenn dann der Gastgeber kommt und zu dir sagt: ,Mein Freund, nimm doch weiter oben Platz!‘ wirst du vor allen Gästen geehrt sein. Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. 

 

Klingt irgendwie einleuchtend, oder? Ich werde auch lieber ehrlichen Herzens von anderen gelobt, als mich selbst darzustellen und dabei auf die Nase zu fallen. „Hochmut kommt vor dem Fall.“, heißt es ja schon in dem Buch der Sprüche. Doch noch an anderen Stellen der Bibel lernen wir etwas über Gottes Einstellung zum Thema Demut und Stolz: Auch in Hiob 22,29a, Psalm 18,28, Daniel 4,34 und Jesaja 2,17 erniedrigt Gott den Stolzen und segnet diejenigen, die vor ihm – und nicht sich selbst – in die Knie gehen. Ein demütiger Mensch sieht sich nicht völlig verblendet im besten Licht, sondern erkennt die eigenen Schwächen und seine Abhängigkeit von Gottes Gnade. Das heißt jedoch nicht, dass demütige Menschen kein Rückgrat besitzen: Gerade sie können durch ihren Gehorsam gegenüber ihrem Schöpfer und im Vertrauen auf seine Kraft anstelle ihrer eigenen Ressourcen gegen den Strom schwimmen.  

 

Demut scheint hier kein Gefühl zu sein. Es ist eine Grundhaltung.  

Ein demütiger Mensch nimmt sich nicht so wichtig, er nimmt Dinge bereitwillig an, die er oder sie ohnehin nicht ändern kann. Demut – so Jochen Mai – ist eine Form der Genügsamkeit, Dankbarkeit und Hingabe, die zu mehr Ausgeglichenheit, Gesundheit und Lebensfreude führt.  

Wer in einer Gemeinde (oder jeglicher anderen Institution) eine Führungsposition übernimmt, sollte zuvor gedient haben. Und mit der Annahme eines höheren Amtes sollte diese Bereitschaft, anderen zu dienen und sich im Zweifelsfall unterzuordnen, nicht aufhören, im Gegenteil. In der Bibel finden wir zahlreiche Beispiele und Hinweise darauf:  

 

„Seid miteinander auf dasselbe Ziel bedacht: Strebt nicht hoch hinaus, sondern lasst euch von geringen Dingen in Anspruch nehmen. Haltet euch nicht selbst für klug!“ (Römer 12, 16)  

 

„Helft euch gegenseitig, die Lasten zu tragen. Auf diese Weise erfüllt ihr das Gesetz des Messias. Wenn jemand sich einbildet, etwas zu bedeuten, obwohl er doch nichts darstellt, betrügt er sich selbst. Jeder prüfe sein eigenes Tun, dann mag er stolz auf sich sein, ohne sich über einen anderen zu erheben. Denn jeder hat genug an seiner eigenen Verantwortung zu tragen.“ (Galater 6, 2-5)  

 

„Dann macht doch meine Freude vollkommen, indem ihr in derselben Einstellung und Liebe von ganzem Herzen zusammensteht und nichts aus Streitsucht oder Ehrgeiz tut. Seid vielmehr bescheiden und achtet andere höher als euch selbst! Denkt nicht nur an euer eigenes Wohl, sondern auch an das der anderen.“ (Philipper 2,2-4)  

 

Dürfen wir dann überhaupt noch auf irgendetwas stolz sein?

Die Bibel sagt ja – aber wir sollen dabei dem die Ehre geben, dem sie wirklich gebührt: „Wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn.“ heißt es in Korinther 2,13 und wenn ich ehrlich bin, dann brauche ich nur einen Blick in den Sternenhimmel zu werfen, um mich wahrhaft klein und unbedeutend zu fühlen. Dass ich in diesem gewaltigen Kosmos voller Wunder überhaupt eine Bedeutung (und keine geringe!) habe, liegt allein an Gottes Liebe, seiner Sehnsucht nach echter, persönlicher Beziehung und seiner Gnade.

 

Wusstest du, dass dein Herz bereits vor deiner Geburt etwa 9 Millionen Mal geschlagen hat und dass noch immer niemand so genau weiß, warum die elektrisch modifizierten Herzmuskelzellen überhaupt ein regelmäßiges Potenzial erzeugen? Wer zeigt ihnen, wie sie das zu tun haben? Warum sind auf dem Weg der Evolution, bis dieses Konzept funktioniert hat, nicht alle Lebewesen jämmerlich ausgestorben? Und wie kommt es, dass wir hier sitzen und mit unserem Gehirn über unser Gehirn nachdenken können, von dem wir bisher noch nicht einmal einen Bruchteil richtig verstehen?  

Dass wir leben, ist ein riesiges Geschenk. Jeder einzelne Atemzug ist reine Gnade. Und mit jedem bisschen Luft, das ich tagtäglich in meine Lungen einsauge, will ich Gott dafür loben.  

 

„Aber Erkenntnis macht überheblich, nur die Liebe baut auf. Wenn jemand meint, etwas Besonderes erkannt zu haben, dann hat er noch nicht einmal erkannt, wie man erkennen soll. Wenn aber jemand Gott liebt, so ist er von ihm erkannt worden.“ (1. Kor. 8,1ff.)  

 

Als ich mein Physikum schrieb, hatte ich das Privileg in der Evangeliumshalle in Wehrda ständig meinen Blick auf die drei Holzkreuze an der Wand richten zu können. In Gedanken betete ich während der gesamten Prüfung immer wieder: „Dir zur Ehre will ich es machen, Gott. Nur dir zu Ehre.“ Am Ende war ich dann seltsam enttäuscht über das Ergebnis. Ich hatte Gott doch gesagt, dass ich ihn damit ehren wollte - und nun das? Doch anscheinend schien im dieses Ergebnis völlig zu genügen und ich begann, zu hinterfragen, ob ich es wirklich „nur“ für Gott gemacht hatte, wenn ich nun selbst wieder daran zweifelte, für ihn genug zu sein. Im Nachhinein bin ich sogar dankbar dafür, dass ich kein Einser-Physikum gemacht habe. Allein die Gefahr, dadurch wieder stolz und möglicherweise auch in ungesunder Art und Weise zu selbstsicher und überheblich zu werden, würde ich rückblickend niemals für ein besseres Ergebnis riskieren wollen. Wer weiß, wie ich heute in der Klinik unterwegs wäre, wenn mir nicht wieder einmal vor Augen geführt worden wäre, dass ich eben nicht alles weiß und Gott auch im Berufsalltag mit seiner Weisheit immer wieder brauchen werde. Vielleicht war diese Situation im allerbesten Sinne demütigend insofern, dass ich später mehr nach Gott fragen werde, mehr bei ihm auftanken werde und meinen Patientinnen und Patienten dadurch eine bessere, ausgeglichenere Ärztin sein werde, die weiß, woraus sie ihre Energie schöpft.  

 

„Wenn wir nun durch den Geist Gottes das neue Leben haben, dann wollen wir es auch in diesem Geist führen. Wir wollen nicht ehrgeizig unsere Eitelkeit befriedigen und uns gegenseitig herausfordern oder beneiden." (Galater 5,25-26)  

 

„Doch alle müsst ihr im Umgang miteinander Bescheidenheit an den Tag legen. Denn „Gott widersetzt sich den Hochmütigen, nur dem Demütigen erweist er Gnade. Demütigt euch deshalb unter Gottes mächtige Hand, dann wird er euch zur richtigen Zeit erhöhen. Und werft in Demut alle Sorgen auf ihn, denn er sorgt sich um alles, was euch betrifft.“ (1. Petrus 5-7)  

 

 Jetzt habe ich viel über Demut erzählt, viel darüber geschrieben, warum sie so wichtig ist und viel aus der Bibel zitiert, die ebenfalls einstimmig zu diesem Schluss kommt. Aber wie kann ich wirklich demütig werden, wenn es nicht reicht, einfach schlecht von sich zu denken? Das ist fast, als würde man krampfhaft versuchen, nicht an einen lilanen Elefanten zu denken. (Ha, reingefallen, oder?)  

 

Der Vers, den ich als letztes zitiert habe, ist eine perfekte Überleitung zu dem Punkt, den ich als letztes machen möchte: Wahrhaft demütig werden kann ich nur durch Jesus. Als Christin ist es mir ein großes Anliegen, bei ihm in die Lehre zu gehen. Ich möchte Zeit mit ihm verbringen, ihm nachfolgen und ihm dabei immer ähnlicher werden. 

 

Und ER ist das beste Beispiel für Demut schlechthin:

 

„Kommt her zu mir, alle, die ihr geplagt und mit Lasten beschwert seid. Bei mir erholt ihr euch. Unterstellt euch mir und lernt von mir. Denn ich bin gütig und von Herzen zum Dienen bereit. Dann kommt Ruhe in euer Leben. Denn mein Joch trägt sich gut und meine Last ist leicht.“ (Matthäus 11,28-30)  

 

Andere Übersetzungen formulieren Vers 29 so:  „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“  

 

Wenn jemand demütig war, dann Jesus: Er hatte bei Gott jede erdenkliche Form von Ehre und Herrlichkeit, doch er legte das alles ab und wurde ein kleines, schmutziges, hilfloses Baby. Er wurde krank (glaube ich). Er schnitt seine Fußnägel. Er brauchte zu Essen. Er hätte wann immer er wollte auf dem Wasser laufen können, doch stattdessen saßen er und seine Jünger immer zusammen in einem Boot (bis auf ein Mal, ihr erinnert euch :D). Er wusste, dass er nur noch einen Tag zu leben hatte und er wusch seinen Jüngern die Füße. Er hätte einen Thron verdient und stattdessen bekam er auf dem Weg zum Kreuz eine Dornenkrone. Manche liberalen Theologen stellen Jesus Wirksamkeitsanspruch als Messias in Frage, da er kaum von sich selbst sagt, dass er wirklich Gottes Sohn ist. Sie unterstellen ihm, dass er selbst sich womöglich gar nicht als dieser sah und nur von seinen Anhängern fehlgedeutet wurde. Erstens spricht Jesus sehr wohl von sich selbst als dem Messias – nur eben nicht so häufig. Und zweitens – THESE: Was, wenn er schlicht und ergreifend deshalb nicht so oft damit hausieren ging, weil er eben unheimlich „demütig“ war? Jede Selbstdarstellung seinerseits erfolgte immer nur mit dem Zweck, Menschen für Gott und seine Vergebung zu gewinnen. Nicht ein Fünkchen zu oft und nicht ein winziges Bisschen zu wenig. Er hatte es nicht nötig, sich zu produzieren oder mit einem „Hey, by the way, ich bin übrigens der Retter, auf den ihr seit Jahrhunderten wartet.“ zu verkaufen. ER wies immer nur auf Gott hin, der ihn gesandt hatte. Lest selbst nach, es stimmt. ;)  

 

Abschließend möchte ich sagen, dass ich mich mit demselben Anliegen auf den Weg begebe. Einigen von euch mag aufgefallen sein, dass ich meinen Blog vor allem auf Instagram momentan stark umgestalte. Ja, ich tue das, um mehr Reichweite zu bekommen. Aber es geht mir damit nicht um mich, sondern ich wünsche mir vor allem mehr Reichweite, um mehr Menschen für Jesus zu begeistern und dazu zu ermutigen, ihn aktiv zu suchen. Es ist mein Gebet, dass Gott jeden Funken Stolz, der dabei auch eine Rolle in meinem Herzen spielt, auslöscht – wenn nötig so, dass es wehtut. Er kennt meine Motivation und meine innersten Sehnsüchte viel besser, als ich das selbst tue. Und auch ihr seid mir eine Hilfe, wenn ihr mir ehrliches Feedback gebt, mich auf Schwächen und Fehler hinweist und mir damit helft, immer wieder zu Gott zurückzukehren, um mich von ihm zu der Frau machen zu lassen, die er von Anbeginn der Zeit in mir gesehen hat.  

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