Vom 8. bis zum 10. Dezember 2023 fand in Bad Homburg die deutschlandweite ACM-Tagung statt. Die ACM ist die Arbeitsgemeinschaft christlicher Mediziner/innen - und zu diesem Anlass reisten knapp 200 Medizinstudierende aus ganz Deutschland an, um sich zum Thema "Shift happens" Gedanken zu machen. Es ging um die Frage, ob Veränderung in unserem Gesundheitssystem möglich ist und inwiefern wir als nachwachsende Generation in der Zukunft aber auch jetzt schon Teil davon sein können.
Ich war an diesem Wochenende Teil der Worship-Band und reiste daher bereits etwas früher mit dem Auto an, da die deutsche Bahn kurzfristig (!) wieder einmal einen Streik angekündigt hatte. Technik-Equipment und Band waren wirklich ziemlich professionell, sodass sowohl die Proben als auch das Musikmachen selbst später wirklich unheimlich viel Spaß machten.
Ich traf Freunde von früher wieder, genoss das leckere und reichhaltige Abendessen und lernte die Leute, mit denen ich in einer Kleingruppe gelandet war, besser kennen. Vor allem aber bot sich mir endlich die Gelegenheit, auch einige meiner Kommilitoninnen aus Marburg besser kennenzulernen, von denen ich anfangs teilweise gar nicht gewusst hatte, dass sie ebenfalls Christinnen waren.
Am Freitagabend ging es neben einem bunten Begrüßungsprogramm vor allem erst einmal darum, mit welchen großen Themen und Fragestellungen die Medizin in Deutschland momentan konfrontiert war: Probleme wurden beim Namen genannt, jedoch auch bereits einige Möglichkeiten dargestellt, an einem Veränderungsprozess teilzuhaben. Für mich war dieser Abend ehrlich gesagt ein ziemlicher Eye-Opener: Ich würde nicht Medizin studieren, wenn ich nicht wüsste, dass Gott mich später in diesem Beruf gebrauchen möchte, doch bisher war meine Vorfreude auch immer mit der realistischen Erwartungshaltung gepaart, dass der Job eben einfach "unheimlich stressig" werden würde und dass ich wirklich Gottes Hilfe brauchen würde, wenn ich in meiner Assistenzarztzeit keinen Burn-Out bekommen wollte. Möglicherweise ist auch mein Wunsch, ins Ausland zu gehen, eine Folge meiner bisherigen Beobachtungen und Erfahrungen im Krankenhaus und der Berichte und Statistiken über viele ausgelaugte, resignierte Ärztinnen und Ärzte.
Bisher hatte ich das als "unveränderbare" Tatsache hingenommen - ich als kleine Medizinstudentin im ersten Kliniksemester konnte ja doch nichts daran ändern, wenn ich noch nicht einmal eine Wahl hatte, ob ich für die letzten beiden Jahre nach Marburg oder nach Fulda gelost wurde.
Aber an diesem Abend begriff ich das erste Mal, dass diese Dinge gar nicht so sehr in Stein gemeißelt waren, wie ich das bisher angenommen hatte. Ich erfuhr mehr darüber, was es eigentlich hieß, Freiberufler/in zu sein, wo ich Mitspracherechte haben würde und wo es sich lohnte, (politisch) aktiv zu werden, um für Veränderung einzustehen. Das alles - kombiniert mit der Erkenntnis, dass um mich herum noch dutzende andere junge, motivierte Menschen saßen, die in Zukunft einmal meine Kolleginnen und Kollegen sein würden - machte mir das erste Mal seit langem wieder Hoffnung. Und es entlarvte mein wie so oft zu geringes Gottvertrauen. Ja, ich glaubte, dass er mir in Herausforderungen die nötige Kraft geben würde, um diese auch bestehen zu können, aber glaubte ich auch, dass er die Situation unseres Gesundheitssystems wirklich tiefgreifend verändern konnte?
Am nächsten Morgen ging es nach einem schnellen Frühstück, der Mitarbeiterbesprechung und dem obligatorischen "Praise and Prayer", das wir als Band von vorne moderierten und anleiteten mit Nana Bimpong-Buta weiter, der als Oberarzt für Interventionelle Kardiologie und als Speaker und Coach tätig ist. Er schaffte es, das Publikum zu aktivieren und wachzurütteln und dazu anzuregen, miteinander ins Gespräch zu kommen.
In Gruppen mit abwechselnder Besetzung tauschten wir uns über unsere Sorgen, Ängste und Befürchtungen in Bezug auf unsere berufliche Zukunft aus. Mir half es, zu hören, dass ich nicht die einzige Frau war, die sich so ihre Gedanken zum Thema Familie machte oder dass es auch andere Christinnen und Christen gab, die sich fragten, inwiefern Glaube und späteres Berufsleben sich vielleicht ab und an in die Quere kommen würden. Viele sorgten sich um Stress, fachliche und physische Überforderung oder anstrengende Arbeitszeiten. Anschließend forderte Nana uns dazu auf, die gesammelten Ängste und Sorgen zunächst noch einmal zu verschiedenen Überbegriffen zusammenzufassen und diese dann zwei Kreisen zuzuordnen: In den inneren Kreis sollten wir die Dinge schreiben, die in unserem Einflussbereich lagen und in den äußeren Kreis die Anliegen, über die wir keine Kontrolle hatten. Es half sehr, sich darüber klar zu werden, dass es Dinge gab, die man tatsächlich ändern konnte - dass es aber menschlich gesehen eben auch Grenzen gab. Zum Schluss wies der Arzt darauf hin, dass mit Gottes Hilfe auch die Dinge aus dem "circle of concern" Teil unseres "Circle of influence" werden konnten -aber eben nur in seiner Kraft.
Vollgetankt von lauter neuen – oder „erneuerten“ – Gedanken schmeckte das Mittagessen gleich doppelt so gut und die Möglichkeit, anschließend mit einem gut befreundeten Paar spazieren gehen zu können, wertete den Nachmittag nochmals auf. Ich hatte danach für zwei Seminare mit den Themen „Selbstbestimmter Tod“ und „Entwicklungshilfe in Uganda“ angemeldet und während es im ersten Fall viel um das Thema Suizid und ganz praktische Tipps für den seelsorgerlichen Umgang damit ging, beeindruckte mich auch der zweite Vortrag sehr. Der Wunsch, mit der Medizin irgendwann einmal ins Ausland und möglicherweise in die Entwicklungshilfe zu gehen, hallte noch immer stark in mir nach, doch bisher hatte ich lediglich in einem Werk mitgearbeitet, das seit Jahren etabliert war und in dem vor allem auch das kollegiale Miteinander wegen bereits aufgearbeiteter kultureller Missverständnisse sehr gut war. Nun bekam ich jedoch einen Eindruck davon, wie es sein konnte, ganz neu in eine Situation hineingeworfen zu werfen, bei der zuvor wenig interkulturelle oder fachliche Vorarbeit geleistet worden war und erlebte diesbezüglich einen ganz neuen Aha-Effekt. Rückblickend war auch dieses Seminar wirklich wertvoll für meine Sicht auf das Thema.
Nach dem Abendessen gab es die „Big Medi Night“ zum Thema „Night Shift“ mit vielen Gruppenspielen, Challenges, Musikbeiträgen und abschließend viel Zeit zum Tanzen und Feiern. Ich genoss das bunte Chaos aus Masken, Handschuh-Luftballons und Kitteln, rockte mein Oberärztin-Outfit aus „kleinem Schwarzen“ unter dem Kittel mit roten, hochhackigen Schuhen und Stethoskop und nutzte im Anschluss noch die Zeit, ein bisschen mit den anderen Bandmitgliedern zu plaudern. Vor allem das gemeinsame Beten mit einer Freundin tat uns beiden besonders gut. (Und ja, das an dem Infusionsständer sind Redbull-Dosen…)
Der Schlaf kam natürlich wieder etwas zu kurz, doch so eine ACM-Tagung ist ja schließlich auch nur einmal im Jahr.
Sich am nächsten Morgen nach einem letzten, schönen Gottesdienst zum Thema "Gottvertrauen auch in schwierigen Situationen" schon wieder verabschieden zu müssen, war gar nicht so einfach, aber ich hatte so viel zu verarbeiten, dass die Zugfahrt zurück eine gute Gelegenheit bot, endlich einmal Ordnung in meine Gedanken zu bringen.
Das Ergebnis davon sind meine Take-Home's dieses Jahr:
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Willem B. (Donnerstag, 11 Januar 2024 12:10)
Hey Elena, vielen Dank für deine Erfahrungen, die du mir uns teilst.
Dank deiner Worte darf ich mich erinnern und weiter glauben, ja Gott schafft Veränderung in uns und durch uns.
Debbi (Dienstag, 28 Mai 2024 09:48)
Hi Elena,
richtig cool, was du von der ACM-Tagung berichtet hast und auch WIE du es berichtest!!! Nur für den Fall, dass das mit dem Ärztinnnen-Sein mal nicht klappt, kannst du immer noch Journalistin werden!!! :-)
Falls du zur nächsten Tagung nach Rehe kommst, frage ich dich jetzt schon einmal, ob du einen Artikel schreiben möchtest :-) Melde dich gerne mal bei mir unter: debora.langenberg@smd.org