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Beziehung: Geschenk, nicht Notwendigkeit

WARUM Man auch ohne Partner genug ist und Wie ich Gott als "echten gönner" Erlebt habe

Warnung: Dieser Blog-Artikel gehört neben dem über meine Essstörung zu den längsten, die ich je geschrieben habe, also plant euch bei Interesse ein wenig Zeit ein oder lest ihn in Etappen :). Es ist die Geschichte von mir und dem Mann, den ich in weniger als einem Monat heiraten werde. Warum veröffentliche ich sie hier? 

 

David und ich haben Gott im Ringen um die Frage, ob wir ein Paar werden sollen oder nicht, unheimlich eindrücklich erlebt.

Ich glaube, dass die Dinge, die wir in dieser Zeit gelernt haben, nicht nur für Leute in einer Beziehung eine Ermutigung sein können, sondern auch für alle, die noch nach einem Partner oder einer Partnerin suchen und sich fragen, worauf er oder sie achten soll. 

 

Ich glaube auch, dass das hier zu teilen und anderen damit Mut zu machen, Teil unseres gemeinsamen Callings ist.

Wir spüren Gottes Segen auf unserer Beziehung sehr deutlich. Er hat unser intensives Fragen und Prüfen belohnt, ohne, dass wir uns damit irgendetwas verdienen konnten. Letzten Endes war es sein Geschenk an uns, das wir in voller Freiheit annehmen oder ablehnen konnten. Wie wir einander kennengelernt haben, wie er unsere Verletzungen der Vergangenheit gebraucht hat und warum es wichtig war, zuerst zu lernen, dass wir auch ohne Partner genug, geliebt und glücklich sein können, lest ihr hier: 

 

Es war im Oktober 2021 als ich David Immanuel Kaiser das erste Mal so richtig bewusst wahrnahm. Man sagt immer, dass es genau dann passiert, wenn man nicht damit rechnet und in diesem Fall muss ich sagen, dass es wirklich zu 100% auf uns zutraf. 

Zwei Jahre zuvor hatten mein damaliger, langjähriger Exfreund und ich während meines ersten Auslandseinsatzes unsere Beziehung beendet und da ich fünf Jahre meines Jungen-Erwachsenenlebens in einer Beziehung gewesen war, nahm ich mir bewusst vor, erst einmal für mindestens ein Jahr single zu bleiben, um mich selbst ein wenig besser kennenzulernen - ohne Partner. 

 

Ich begann in dieser Zeit ein Lehramtsstudium, schloss neue Freundschaften, sammelte Erfahrungen in der Pflege und der psychotherapeutischen Arbeit und genoss meine Unabhängigkeit in vollen Zügen, indem ich lauter spannende Abenteuer erlebte: Ich reiste lediglich mit einem Rucksack bewaffnet allein durch Südamerika, lernte Windsurfen, unternahm mit zwei Freunden eine Fahrradtour durch ganz Deutschland und probierte mich in allerlei Freiwilligenarbeit und verschiedenen Sportarten aus. Dieser Blog hier ist ebenfalls ein Ergebnis dieser Lebensphase. 

 

Nachdem das Jahr vorbei war, begann ich so langsam wieder, die Augen nach jemandem offen zu halten, merkte allerdings schnell, dass Gott mir Folgendes sagte: Elena, noch nicht. Hab Geduld Wachse erst einmal noch näher auf MICH zu. Das war ehrlich gesagt gar nicht so leicht. Doch ein Teil von mir verstand gleichzeitig sehr gut, warum es dennoch notwendig war: Dadurch, dass ich von 15 bis 19 in einer Beziehung gewesen war, hatte ich immer ein vollkommen entspanntes Verhältnis zu den Männern um mich herum gehabt. Stets war klar gewesen, dass ich vergeben - und damit in einer Friendzone war. Wie ich mich dem anderen Geschlecht gegenüber also verhielt, war also geprägt von Unbefangenheit und Offenheit. Nie hatte ich gelernt, darauf achtzugeben, welche Signale ich als Single-Frau sandte - und das merkte ich nun mit einem Mal sehr stark. Nicht nur einmal musste ich erkennen, dass ich jemandem, ohne es zu wollen, falsche Hoffnungen gemacht hatte - und mich dafür entschuldigen. Jahrelang hatte ich außerdem geglaubt, ich sei nicht interessant oder liebenswert. Nun lechzte ich praktisch nach der Aufmerksamkeit der Männer, nach Anerkennung und den Komplimenten, die mir lange Zeit (fairerweise!) schlichtweg nicht gemacht worden waren. Kein Wunder also, dass ich noch nicht "so weit" war. Ich hatte noch nicht begriffen, dass mein Wert nicht von einem Partner abhing, dass mein Leben nicht erst lebenswert war, wenn ich eine Beziehung hatte und dass ich in dem Moment, in dem ich das Gefühl hatte, einen anderen Menschen für mein Glück zu brauchen, vergaß, dass nur Gott mich wirklich vollkommen glücklich und zufrieden machen konnte.

Ich versuchte also, diese Wünsche langsam loszulassen. Dennoch legte ich sie Gott hin, mit der Bitte, darauf aufzupassen, bis es so weit war - und mir dann einen Mann vorbeizuschicken, der wirklich die Initiative ergriff und dem ich kostbar und begehrenswert genug war, um um mich zu werben - und nicht wie so oft zuvor anders herum. 

 

Und obwohl ich das damals natürlich nicht wissen konnte, sah Davids Leben interessanterweise an einem völlig anderen Ort sehr ähnlich aus: Auch er war ziemlich genau zwei Jahre single, und während ich bei meinem zweiten Aufenthalt in Peru das erste Mal völlig im Frieden damit war, alleine mit Gott in der Welt unterwegs zu sein, war er nach sehr verletzenden Erfahrungen sogar an einen Punkt gelangt, an dem er wirklich kurz davor stand, sich vor Gott dazu zu committen, sein Leben lang partnerlos zu bleiben. Er hatte ebenfalls bemerkt, dass es ihm ohne eine Beziehung viel besser ging. Bis zu jenem schicksalhaften Abend in der SMD, einer christlichen Hochschulgruppe der Universität Marburg. 

 

Irgendwie landeten wir beide zusammen an einem Tischkicker und begannen aus einem im Nachhinein nicht mehr vollkommen rekonstruierbaren Grund, das Gegnerteam mit den förmlichsten, mittelalterlichsten und so gestochen wie möglich klingenden Beleidigungen zu diffamieren. "Ihr Heu-Heu-Heuchler! Unholde! Tunichtgute!" Wir lachten uns kringelig. Während das gegnerische Team vermutlich mindestens verwirrt, wenn nicht sogar zutiefst befremdet war. 

Doch es war ein Augenblick, in dem wir beide - mehr oder weniger unterbewusst - schon einmal registrierten, dass wir humor-technisch auf jeden Fall auf einer Wellenlänge waren. Die kommenden Wochen, in denen wir nach einer Nachtwanderung samt spontanem Gesangs-Duett auch schließlich unsere Nummern austauschten, bestanden die einzigen Nachrichten, die wir uns auf WhatsApp schickten, aus Beleidigungen. Es war unsere kleine Challenge: Wer fand die abgedrehteste, verrückteste? Und vom uncephalisiertem Carbunculus (Latein im Medizinstudium war doch zu etwas gut, ha!) bis hin zur eingebildeten Quisquilie war wirklich alles dabei... Weirde Kennenlern-Story? Vielleicht. Aber wir wären nicht wir, wenn die Geschichte normal gewesen wäre. 

 

Bis zu diesem Punkt dachte ich mir jedoch noch nichts dabei. Oft brachten mich Davids Nachrichten zwar in den unpassendsten Momenten meines Alltags dazu, lauthals loszulachen, doch da ich zu diesem Zeitpunkt erst einmal mit dem neu begonnenen Medizinstudium klarkommen musste und eigentlich auch einen anderen jungen Mann aus der Gemeinde öfter traf, mit dem ich erst klären wollte, ob da irgendwelche Vibes waren, die es einzuordnen galt, ließ ich es gar nicht zu, mehr als nötig über David nachzudenken. 

 

Weil ich allerdings mitbekommen hatte, wie begabt er Klavier spielen und singen konnte, fragte ich ihn irgendwann, ob er nicht zufällig Lust hatte, die Worship-Band in der Gemeinde zu unterstützen, in der ich spielte. Wir trafen uns das erste Mal in einer Gruppe bei mir zuhause und unternahmen auch in den Tagen und Wochen danach immer mehr. Das Thema Impfung machte mir zu dieser Zeit sehr zu schaffen und als ich mich schließlich dazu entschieden hatte, es doch noch zu tun, war es David, der mich begleitete, mir zuhörte und sogar Tee samt Teetassen für die Wartezeit im Kalten mitbrachte. Ich wusste damals noch nicht viel, nur, dass es mir unheimlich gut tat, dass er da war. In den 15 Minuten Beobachtungszeit nach der Impfung lehnten wir nebeneinander an einer Wand, sahen zur Decke, lachten und erzählten einfach - und mir fiel auf, dass ich mich noch nie neben einem Mann so entspannt und gelöst gefühlt hatte. Am selben Nachmittag war ich dann das erste Mal bei ihm, wir nahmen mit seinem Porta-Studio Songs auf und ich lachte so viel wie seit langem nicht mehr. Auch am Sonntag gingen wir Spazieren und in den Gottesdienst - und erst zu Beginn der neuen Woche fand ich dann die Karte in meinem Briefkasten, die er schon am Freitag eingeworfen hatte. Der Arme! Später erzählte er mir, dass er sie mir während eines geplanten Tischkicker-Turniers, zu dem ich aus zeitlichen Gründen nicht gekommen war, in den Rucksack hatte schmuggeln wollen. Und als ich nicht erschien, beschloss er nachts - da keine Busse mehr fuhren - einfach, sie mir trotzdem vorbei zu bringen. Vom Südviertel, in dem er damals wohnte, sind es etwa 6 Kilometer bis zu mir... Und das hin und zurück! Doch während des gesamten Weges betete er,  hörte Lobpreismusik und war auch die nächsten Tage, in denen ich mich ja zunächst aus guten Gründen nicht dazu äußerte, völlig tiefenentspannt. "Ich wusste, dass ich nichts verlieren, sondern nur gewinnen konnte.", sagte er einmal und seine Gelassenheit beeindruckte mich zutiefst. 

 

In der Karte schrieb er, dass er mich unheimlich sympathisch fand und mich gerne näher kennenlernen wollte. Wenn ich damit leben könne - oder ebenfalls Lust hätte, ihn öfter zu treffen, sollte ich es ihn einfach wissen lassen.

 

Mir wurde ganz warm und ich merkte, wie ich lächelte, ohne, dass ich es verhindern konnte. Emotional ziemlich aufgewühlt begann ich, aufgeregt zwischen Zimmer und Küche hin- und her zu tigern, während sich in meinem Kopf die widersprüchlichsten Gedanken und Gefühle überschlugen. Zum einen und tatsächlich vor allem – freute ich mich unheimlich über diese nette Geste. So eine schöne Karte (und er hatte sich wirklich Mühe bei der Gestaltung gegeben) hatte ich noch nie von einem jungen Mann bekommen. Und es hatte auch noch nie jemand von sich aus so die Initiative ergriffen, in dem bewussten Risiko, möglicherweise auch einen Korb zu bekommen. Es war das, was ich mir tatsächlich von Gott erbeten hatte: Jemanden zu finden, der mich wirklich wollte und dem ich es wert war, von sich aus auf mich zuzugehen. 

 

Zum anderen – und leider auch zu einem gar nicht so unerheblichen Teil – dachte ich: Du Arschloch. Da ist doch dieser Student aus der Gemeinde, wieso freust du dich denn jetzt so über diese Karte?

 

So etwas hatte ich NIE gewollt, in meiner Vorstellung war es das Unmoralischste, das ein Mädchen tun konnte: Sich gut mit gleich zwei Männern zu verstehen.

Zusammengefasst war ich in diesem Moment also vollkommen verwirrt.

Und trotzdem lächelte ich. Mist.

 

Hin- und hergerissen zwischen dem, was ich tun wollte und dem, was ich tun sollte, zermarterte ich mir das Hirn darüber, wie ich nun wohl am besten reagieren konnte. So eine Karte verdiente mindestens einen Anruf und es gab Dinge, die ich ihm am liebsten live und in persona sagen wollte. Gleichzeitig war ich mir nicht sicher, ob das fair ihm gegenüber war, ob er sich nicht vielleicht noch mehr Hoffnungen machen würde, wenn er mich besser kennenlernte. Wenn ich genauer darüber nachdachte, war dieser Gedanke allerdings ziemlich arrogant und ich hatte dem Freund aus der Gemeinde überhaupt nichts gesagt oder Hoffnungen gemacht, die mich ihm gegenüber zu irgendetwas verpflichtet hätten. Mein Gewissen und mein Wunsch nach einer Aufrichtigkeit, die ich nicht nur theoretisch vertrat, sondern auch auf alle Lebensbereiche und vor allen Dingen auf Beziehungen anwenden wollte, wanden sich bei der Vorstellung, noch mehr Zeit als nötig mit David zu verbringen – und zwar gerade, weil ich mich aus irgendeinem Grund so sehr über seine Karte gefreut hatte. Aber dennoch… Ich befand mich in einer moralischen Zwickmühle, die mir keine andere Wahl lies, als zu Gott ins Gebet zu gehen. Und die Antwort auf die Frage bezüglich der Ehrlichkeit war relativ einfach: Du sollst nicht lügen.

 

Wenn ich David die Wahrheit sagen wollte, durfte ich mich nicht einfach unter irgendeinem Vorwand herauswinden. Und jede Ehrlichkeit meinerseits bedurfte eindeutig mehr als einer Whatsapp-Nachricht, alles andere wäre einfach nicht vollständig und mitunter auch verletzend gewesen. Denn eines war mir bereits in diesem Moment klar: Ich wollte David auf keinen Fall als Freund verlieren. Nicht, wenn ich es irgendwie verhindern konnte und auch, obwohl das möglicherweise sehr egoistisch war. Ich würde mich mit ihm zu einem Spaziergang treffen, beschloss ich also. Und dann würde ich ihm die Entscheidung überlassen: Falls ihm der weitere Kontakt zu mir zu viel werden sollte, würde ich es riskieren müssen, ihn zu verlieren. Aber eine andere Wahl hatte ich nicht. Ich musste jetzt ehrlich sein – oder es war ein für alle Mal zu spät, zu doppelmoralisch, zu menschenängstlich.  

 

Der Spaziergang einige Tage später war dann wunderschön und die Gespräche noch viel tiefgründiger als meine kühnsten Erwartungen. Mit David war es nicht schwer, über die wichtigen Dinge des Lebens zu reden. Bereits nach 15 Minuten offenbarte er mir, dass er mir die Karte bewusst jetzt geschrieben hatte, weil er an einem Punkt stand, an dem er mit einem ehrlichen "Nein" meinerseits noch sehr gut leben konnte. Er merkte, dass er auf dem besten Wege dahin war, sich in mich zu verlieben, doch er wollte sich in nichts hineinsteigern und lieber jetzt einen Schlussstrich ziehen, bevor wir beide schon zu tief in der Sache drinsteckten. "Du musst eins über mich wissen, Elena.", sagte er. "Ich hätte mir fast einmal das Leben genommen wegen eines Mädchens."

 

Innerlich erstarrte ich vor Schreck, äußerlich entrang sich meinen Lippen irgendwie ein halb betroffenes, halb überraschtes und zu einem kleinen Teil auch ein wenig amüsiertes (ich hatte noch nie jemanden auf diese Art und Weise ein Gespräch beginnen hören) „Okay, no pressure…“.

 

David lächelte mir beruhigend zu – nein, er wirkte nicht verrückt, im Gegenteil dazu sehr bodenständig und in sich ruhend wie jemand, der das alles längst hinter sich gelassen hatte – und begann, Schritt für Schritt zu erklären, wie es dazu hatte kommen können. Er berichtete von seiner Kindheit, seiner Verliebtheit in das einzige Mädchen in der Gemeinde in seinem Alter, die er gemocht, aber eigentlich überhaupt nicht gekannt hatte, dem großen Irrtum seines damaligen Lebens, dass eine Beziehung das sei, was letztendlich glücklich machen würde und damit den großen Sinn eines zufriedenen Daseins darstellte, von Ablehnung und Frustration und der dann folgenden ersten und letzten Beziehung zu einer nichtchristlichen Mitschülerin, von der er ebenfalls unheimlich verletzt worden war.

 

„Ich hätte dich nicht als jemanden eingeschätzt, dem es egal ist, ob seine Partnerin Christin ist oder nicht…“, stellte ich überrascht fest - dass es bei mir viele Jahre genauso gewesen war, würde ich ihm im Anschluss erzählen - und David nickte. „Jetzt kann ich mir das auch nicht mehr vorstellen, aber du musst wissen, dass ich erst in meinem Freiwilligendienst in England so richtig bewusst angefangen habe, mit Gott zu leben. Da hat sich mein Glaube einfach unheimlich entwickelt, ich selbst habe mich verändert… Weißt du, ich habe einfach gelernt, dass eine Beziehung überhaupt nicht das sein sollte, geschweige denn, überhaupt sein kann, das dich letztendlich zufrieden macht. Das kann nur Gott und sein heiliger Geist, der uns mehr liebt, als es ein anderer Mensch jemals könnte. Den ich mehr lieben will, als irgendeinen Menschen…“

 

Für jemanden, der mit Glauben nichts am Hut hatte, wäre das vermutlich der Punkt gewesen, das Gespräch zu beenden. Ich jedoch war unheimlich beeindruckt, waren dies doch genau die Schlüsse, zu denen auch ich in den letzten Jahren gelangt war.

„Hey, du hast so Recht!“, stimmte ich ihm also zu. „Wenn beide Partner Gott als Fundament haben, wenn sie wissen, dass sie zuallererst von ihm geliebt sind… dann ist die Liebe, Zeit, Wertschätzung, Hilfsbereitschaft - und so weiter - von dem Partner nicht mehr das, worauf es ankommt. Man ist nicht mehr abhängig voneinander, man kann von der Liebe, die Gott einem schenkt, viel selbstloser weitergeben und sich von ihm wieder auftanken lassen. Das ist etwas, was ich auch an der Beziehung meiner Eltern sehen durfte und was mich mein Leben lang immer schon sehr beeindruckt, irgendwie natürlich aber auch unter Druck gesetzt hat.“

 

„Das war bei mir genauso. Meine Eltern sind praktisch das perfekte Paar: Zusammengekommen mit 18, beide die erste Beziehung des anderen, geheiratet mit 21, immer noch glücklich und mittlerweile vier Kinder… Ich hatte bis zu meiner gescheiterten ersten Beziehung die feste Vorstellung, dass die erste Partnerin auch die letzte sein müsste.“

 

Wir redeten über alles: Unsere Träume, Wünsche und Hoffnungen für's Leben, unseren Glauben, unsere Werte und unsere Beziehung zu Gott, generell darüber, war wir unter dem Thema Partnerschaft verstanden und was uns dabei wichtig war. David erzählte mir seine Geschichte und ich ihm die meine mit all dem, was mich zutiefst beschäftigte und bewegte, denn irgendwie wusste ich instinktiv, dass ich ihm vertrauen konnte. 

 

Bald traten wir aus dem Wald heraus wieder in die Stadt und als wir an der Lahn entlanggingen und uns so langsam aber sicher wieder dem Südviertel näherten, merkte ich, wie ich innerlich wieder unruhiger wurde. Nun waren wir bestimmt schon anderthalb Stunden unterwegs und ich hatte den jungen Mann aus der Gemeinde noch mit keinem einzigen Wort erwähnt. Überhaupt hatte ich bisher ziemlich viel zugehört und noch kein richtiges eigenes Statement zu Davids Karte abgegeben.

„Okay.“, gab ich mir also einen Ruck und straffte unter meiner roten Winterjacke die Schultern. „Also, was ich dir sagen kann, ist, dass das hier keine bloße Friendzone ist – sonst wäre ich offensichtlich nicht so los, - und dass ich mich wirklich sehr über die Karte gefreut habe. Gleichzeitig kann ich aber auch überhaupt nicht einordnen, was es sonst darüber hinaus sein soll, oder ob es jemals irgendetwas über eine Freundschaft hinaus sein wird. Ich kann dir nichts versprechen.“

„Hey, das erwarte ich auch überhaupt nicht!“, beteuerte David. „Ich freu mich einfach, dich besser kennenzulernen und ob etwas oder mehr daraus wird, das wird Gott zeigen.“

„Ja, nur erwarte nicht zu viel, bitte. Ich muss dir nämlich auch noch etwas gestehen…“

Konnte ich das wirklich sagen? Ich hatte so eine Angst, ihm damit vor den Kopf zu stoßen. Danach würde er doch sicherlich überhaupt keine Lust mehr auf mich haben. Aber ich musste es riskieren, ich musste einfach ehrlich sein, deshalb hatte ich doch überhaupt erst einen Spaziergang vorgeschlagen.

Die Wahrheit, Elena. Die Wahrheit!

 

„Da ist ein Junge aus der Gemeinde, mit dem ich seit einigen Monaten öfter mal etwas mache. Also, versteh mich nicht falsch, da ist überhaupt nichts Verbindliches gesagt oder ausgesprochen, wir waren jetzt einfach öfter mal klettern oder mal auf dem Weihnachtsmarkt, aber da sind Vibes, die ich nicht so ganz einordnen kann und die muss ich erst klären. Alles andere wäre einfach nicht fair – weder dir noch ihm gegenüber. Oh man, du kannst dir gar nicht vorstellen wie schwer mir das fällt, das zu sagen…“

„Hey, danke dir für deine Ehrlichkeit!“

Ich sah ihm forschend ins Gesicht, suchte nach Anzeichen von Verletztheit oder Ärger, doch ich fand nichts. Nur Dankbarkeit und Verständnis. Ich verstand diesen Jungen nicht… Auf die gute Weise.

„Echt jetzt, das meine ich ernst.“, bekräftigte David das Gesagte noch einmal, als er meinen Gesichtsausdruck sah. „Und vielleicht ist das jetzt auch eine gute Challenge für mich, Gott das wirklich vollkommen anzuvertrauen, dass es da noch einen anderen gibt.“

 

Ich wusste nicht mehr, was ich sagen wollte. Zu sehr bewegte und beeindruckte mich seine vertrauensvolle Ehrlichkeit, seine eigenen Gefühle betreffend. Er verbarg nichts vor mir. Er druckste nicht herum, verstellte sich nicht, um bloß keine Schwäche zu zeigen. Er machte es mir nicht künstlich schwerer, um nicht verletzt zu werden. Im Gegenteil: Er riskierte es sogar sehr bewusst. Es war das schönste Kompliment, was mir jemand gemacht hatte. Und es hätte unmännlich, unattraktiv, langweilig (weil zu leicht) wirken können, doch das tat es nicht. Im Gegenteil: Es berührte mich zutiefst.

„Lass uns das gleich zusammen vor Gott bringen.“, bat ich ihn nur, mit einem vorsichtigen Lächeln auf den Lippen. „Ich möchte, dass er aus dem allen hier macht, was sein Wille ist. Nicht mehr und nicht weniger.“

 

Und das taten wir. Wir taten es tatsächlich von Beginn an, bei unserem ersten Treffen und allen, die darauf folgen sollten. Es war mir jedes Mal eine riesige Erleichterung, Gott einzuladen und ihn darum zu bitten, uns den Weg zu zeigen, weil ich dann wusste, dass es nicht nur auf mich und mein menschliches Gelingen (oder eher Versagen) ankam. Und das Schönste an der ganzen Sache war, dass es David mindestens ebenso wichtig war wie mir. 

 

In den Wochen vor Weihnachten verbrachten wir immer mehr Zeit zusammen, wir machten oft Musik, gingen Joggen, kochten zusammen und ich lernte nach einem Gottesdienst sogar einen Teil seiner Familie kennen. Ich wollte ihm keine Hoffnungen machen, schaffte es allerdings einfach nicht, mich von ihm fernzuhalten. Nach einem Gespräch mit einer guten Freundin war mir klar, dass ich so schnell wie möglich für Ordnung in meinen Männer-Beziehungen sorgen musste, doch obwohl ich den Freund aus der Gemeinde nach einem Gottesdienst noch länger sprach, fiel mir erst, als ich im Bus zurück nach Hause saß, plötzlich ein, dass ich ihn ja überhaupt nicht auf das Thema angesprochen hatte, auf das ich mich mental im Vorhinein so eingestellt hatte. Und zwar nicht, weil ich nicht darüber hatte sprechen wollen, sondern weil ich es einfach… vergessen hatte. Ich konnte es nicht glauben. Völlig überfordert – und auch ein bisschen ärgerlich – blickte ich meinem verwirrten Ich im Spiegelbild der von innen beleuchteten Bus-Fensterscheibe entgegen und musste an mich halten, um nicht laut loszulachen. Nun gut, dachte ich dann irgendwann. Vielleicht hatte es einfach (noch?) nicht sein sollen. Und möglicherweise war es tatsächlich Gottes Geist gewesen, der mich in diesem Moment vor einem furchtbaren Fehler bewahrt hatte.

 

In den Weihnachtsferien schrieben David und ich unheimlich viel. Ich hatte mir vorgenommen, ihm eine Weile Ruhe zu gönnen, doch ich hielt es entgegen meinen Vorsätzen einfach nicht durch. Als ich einige Wochen später wiederkam, lud er mich auf einen Tee zu sich nach Hause ein und ich freute mich wie blöde, ihn wiederzusehen. So konnte es allerdings wirklich nicht weitergehen, beschloss ich.

 

„Dafür, dass eigentlich Weihnachten war, haben wir ziemlich viel geschrieben, oder?“, meinte er etwas schuldbewusst grinsend, als ich mit ihm auf seinem Bett saß und leckeren Chai-Tee schlürfte. 

 „Schon.“ Ich konnte mir ein Lächeln ebenfalls nicht verkneifen. „Aber… hör zu.“, schlug ich einen etwas ernsteren Ton an und atmete tief durch. „Ich merke, wie sehr ich es genieße, Zeit mit dir zu verbringen oder zu schreiben oder zu telefonieren oder so, aber ich weiß nicht, wie fair das von mir ist.“ Es kostete mich all meinen Mut, ihm dabei direkt in die warmen braunen Augen zu sehen. „Ich will dich nicht verletzen, weißt du, und ich habe keine Ahnung, ob ich hier Gefühle entwickeln werde, oder ob das irgendwann mehr werden wird als eine Freundschaft. Ich habe jetzt zum Beispiel auch gar nicht mehr mit dem Freund aus der Gemeinde geschrieben oder gesprochen und weiß auch nicht, wann ich das klären kann.“

 

Ich merkte, dass ich am Ende meines kleinen Monologs leider nicht mehr so ruhig und selbstbewusst war, wie zu Beginn, doch David schien das glücklicherweise nicht zu stören. Er schien noch nicht einmal verletzt zu sein und etwas atemlos lauschte ich dann, wie er eine der schönsten und beeindruckendsten Aussagen machte, die ich in meinem Leben von einem Mann je gehört hatte: „Hey, Elena, keine Sorge. Es kann sein, dass das hier nur eine Freundschaft bleibt und dann bin ich vielleicht eine Zeit lang kurz traurig, aber letzten Endes ist meine Freude nicht von dir abhängig, sondern vor allem von Gott. Dass es mir gut geht, ist nichts, was du dir auf deine Schultern laden musst.“

 

Für ein paar Sekunden konnte ich ihn lediglich perplex anstarren, während mein Gehirn und auch mein Herz versuchten, das zu verarbeiten, was ich gerade gehört hatte. Das würde ja wirklich bedeuten, dass ich mir keinen Druck machen musste, dass ich alle Freiheit hatte, mit Gottes Hilfe herauszufinden, welche Art von Potential in dieser Freundschaft steckte. Wenn das stimmte, dann… Nein, stopp. Ich brauchte mich nicht zu fragen, ob er nur davon überzeugt war, die Wahrheit zu sagen, oder ob er wirklich so in sich selbst, in Gott, ruhte – allein, ihn so gelassen, fröhlich und gleichzeitig ernsthaft auf seinem Bett sitzen zu sehen, räumte jeden Zweifel in mir aus, dass er es wirklich todernst meinte. Und in demselben Moment, in dem ich das begriffen hatte, spürte ich, wie eine riesige Last von meinen Schultern fiel. „Wow, danke, das… das tut gut zu hören.“

 

Ich konnte nichts anderes tun außer zu stammeln und es gehört wirklich einiges dazu, bis einer Elena Kemmann die Worte fehlen. Aber rückblickend waren es wirklich diese Worte, die mir die Freiheit erlaubten, mich emotional fallen zu lassen und in David zu verlieben.

 

Die nächsten Wochen glichen einem Traum. Ich hätte eigentlich gestresst und aufgeregt wegen der Klausurenphase und meines ersten Präparier-Kurses sein sollen, doch das war ich nicht, im Gegenteil: Da David für sein Hebraicum lernen musste, verbrachten wir viel Zeit zusammen in der Bibliothek, in Cafés oder in irgendwelchen Zügen, um beim Lernen Deutschland zu erkunden und ich genoss jede einzelne Minute. Wegen Corona musste man seine Plätze noch online reservieren und wir freuten uns jedes Mal wie blöde, wenn es uns gelungen war, für drei Stunden am Stück zwei Tische nebeneinander zu ergattern. In den Pausen setzten wir uns in den alten botanischen Garten, sahen auf das Wasser des großen Teiches in der Mitte und genossen von David mitgebrachte selbstgemachte Salate oder Snacks (der Junge konnte also auch noch kochen!!). Bevor wir die Bibliothek betraten, beteten wir oft gemeinsam für das Lernen, weil wir Gott damit ehren wollten und generell beteten wir nun oft auch morgens und abends gemeinsam zusammen, um uns dazu zu motivieren, in der Bibel zu lesen. Da es mir mein zu dieser Zeit entzündeter Fuß nicht erlaubte, zu joggen - , war es mir ebenfalls eine riesige Freude, dass David offenbar tatsächlich Spaß daran hatte, mit mir zusammen im Wald Fahrrad zu fahren. Stundenlang fuhren wir Berg hoch, Berg runter, erkundeten Wege, nur um regelmäßig wieder umzudrehen und waren am Ende oft entweder klitschnass oder - in meinem Fall – voller Dreck, da mir das vordere Schutzblech fehlte. Irgendwie liebte ich es, lauter dunkle Sommersprossen im Gesicht zu haben, denn so langsam lernte ich, mich ein wenig mehr so zu sehen, wie David mich anscheinend sah: Schön, Verrückt, Lustig, voller Lebensfreude, etwas Besonderes… Es tat gut, jemanden mit meiner Andersartigkeit einmal nicht zu verstören, sondern zu begeistern.

 

 

Die Tage zogen ins Marburger Land und je öfter ich versuchte, mich beim Lernen zu konzentrieren, desto stärker merkte ich, wie immer regelmäßiger meine Gedanken abdrifteten und ich unvermittelt grinsen oder lächeln musste. David fehlte mir, wenn er nicht da war und im Gegensatz zu so vielen anderen Menschen, bei denen mir Telefonieren immer schwer gefallen war, freute ich mich jedes Mal, wenn das Tuten in der Leitung ein kommendes Gespräch ankündigte. Noch nie hatte ich mich auf körperlicher Ebene auf so reine Art und Weise zu jemandem hingezogen gefühlt. Ich wollte einfach in seiner Nähe sein, ihn umarmen, seine Hand halten... Das war für mich vollkommen neu.

Dennoch konnte ich mich nicht nur über diese Gefühle freuen, denn mit dem Student aus der Gemeinde hatte ich immer noch nicht reden können. Gleichzeitig änderte das jedoch nichts daran, dass ich auf allen Ebenen ehrlich sein wollte: Nur, weil ich ihn noch nicht wieder getroffen hatte, hieß das nicht, dass ich David gegenüber verschweigen durfte, was mir durch den Kopf ging.

 

Doch als mir David nach einem Filmeabend bei mir zuhause gestand, dass er sich in mich verliebt hatte und ich am Tag darauf auf einer unserer "Lern-Zugfahrten" seine Familie kennenlernte, die statt eines kurzen Hallos kurzerhand beschlossen hatte, Raclette zu machen, war es um mich geschehen. Was sie wohl dachten, fragte ich mich, auch in Bezug auf Davids Vergangenheit? Wie schafften sie es, mich – die ja potentiell die Nächste war, die ihn verletzen konnte – so offenherzig und voller Vertrauen willkommen zu heißen? Waren sie besorgt um Davids Herz? Wenn sie wüssten, dass ich da noch mit jemand anderem reden musste… Und überhaupt keine Klarheit über meine Gefühle hatte. Ich hatte so Angst, David zu verletzen und diese Menschen hier zu enttäuschen… - während ich mich gleichzeitig so wohl hier fühlte. Es war wirklich seltsam und ich hoffte, dass man mir mein Hin- und Hergerissen-Sein nicht zu sehr anmerkte.

 

Davids Eltern brachten uns noch zu unserem Zug und obwohl wir ja ursprünglich geplant hatten, auf der Zugfahrt wieder zu lernen, wurde aus diesen Plänen natürlich wieder nichts. Stattdessen war es uns viel wichtiger, uns darüber auszutauschen, wie es nun weitergehen sollte – wofür wir natürlich auch erst einmal den aktuellen „Lostheits-Status“ definieren und Worte für unsere Situation finden mussten. Ich merkte immer mehr, wie ich emotional tiefer und tiefer in das alles hineinrutschte, ohne mich so richtig dagegen wehren zu können – und das sagte ich David auch. Wir schwebten irgendwo zwischen Euphorie und Ernüchterung, weil uns beiden klar war, dass wir das Level an Freundschaft, das wir nun einmal offiziell leben wollten, nun nur mit noch größerer Willenskraft würden halten können und dabei mehr als alles andere auf Gottes Kraft angewiesen waren. Andere ungeklärte Beziehungen hin und her kannten wir uns einfach noch nicht lang genug, um überhaupt schon über eine langfristige Beziehung nachdenken zu können und abgesehen von unseren menschlichen Gedanken und Gefühlen dazu wollten wir ohne Gottes Beistand ohnehin keine Entscheidung treffen.

 

Viel zu schnell waren wir wieder in Marburg angekommen und während David noch auf seinen Bus wartete, standen wir noch an der Haltestelle und schafften es nicht so recht, unsere Blicke davon abzuhalten, sich ineinander zu verhaken. „Oh man.“, seufzte David mit großen Hundeaugen, „Ich hätte nicht gedacht, dass das Ganze so schnell so kompliziert wird.“ „Was genau meinst du mit kompliziert?“, hakte ich nach. „Naja, dass du jetzt irgendwie auch emotional mit drinhängst und wir gemeinsam überlegen müssen, wie es weitergeht.“ „Aber Gott kann uns da den Weg zeigen!“, versuchte ich uns beide zu ermutigen und fragte dann: „Können wir hier noch schnell zusammen beten?“ David nickte dankbar entschlossen und so standen wir mit gesenkten Köpfen und gefalteten Händen im Nieselregen mitten zwischen dutzenden wartenden Menschen am Marburger Busbahnhof und baten Gott erneut, uns Weisheit und Geduld zu schenken und sich in dieser Beziehung zu verherrlichen. „Dein Wille geschehe.“, schlossen wir unser Gebet ab und umarmten uns zum Abschied noch einmal, bevor David in den Bus stieg und ich mich auf den Weg zu meinem Fahrrad machte, das ich morgens am Bahnhof abgeschlossen hatte. Ich ertappte mich selbst dabei, wie ich mich währenddessen noch einige Male mit einem Lächeln zu ihm umdrehte und den gesamten Heimweg über abwechselnd das Bedürfnis hatte, laut zu lachen und zu weinen. Gott, was soll ich tun?

 

Während eines Lobpreis-Abends in der Gemeinde erhielt ich den nächsten Teil einer Antwort: 

Es begann damit, dass ich bereits während des Lobpreises unheimlich berührt war. Ehe ich mich versah, kniete ich schmerzfrei auf dem Boden, obwohl ich das linke Knie schon seit Jahren wegen einer chronischen Bursitis eigentlich nicht mehr belasten konnte. Als wir in einer Gebetszeit um Eindrücke baten, hatte ich zum ersten Mal ebenfalls ein Bild, von dem ich irgendwoher wusste, dass ich es teilen musste. Und wieder auf meinem Platz angekommen, begann ich plötzlich – ebenfalls zum allerersten Mal – in Sprachen zu singen (dazu später mal mehr) und war natürlich völlig überwältigt von dieser neuen Erfahrung. Überglücklich lauschte ich der Musik, stimmte dann und wann mit ein, um danach wieder zuzuhören. Und während ich David von meinem Platz ganz hinten so ansah, wie er voller ehrlicher Freude und Begeisterung für Gott Musik machte, fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen. In diesem schicksalhaften Augenblick begriff ich, dass er der Mann war, von dem ich mich näher zu Gott ziehen lassen wollte – und den auch ich dazu ermutigen und herausfordern wollte, ihm immer näher zu kommen. Kurz: Ich wollte mit David Immanuel Kaiser mein Leben verbringen.

 

Erwartungsgemäß ziemlich überrumpelt betete ich still: Gott, das kann doch nicht so einfach sein. Wo ist da der Haken?

Und schnell und leise, so wie es sich mit Gottes Antworten oft verhielt, meinte ich in meinen Gedanken ein liebevoll neckendes „Warum muss bei dir denn alles immer kompliziert sein, Elena?“ zu hören. „Nimm das Geschenk doch einfach an.“

 

Okay, wow. Das würde ich prüfen müssen. Ich konnte es kaum glauben. Doch gleichzeitig merkte ich, wie allein der Gedanke mir ein noch größeres Grinsen auf das Gesicht zauberte.

 

Ich erlebte an diesem Abend noch viel mehr an Befreiung, von der ich an anderer Stelle erzählen werde, doch es waren dunkle Punkte meiner persönlichen Geschichte, die Gott - im Rückblick betrachtet - behutsam ans Licht holen musste, bevor ich in eine Beziehung starten konnte. Ich hatte mit diesen Dingen schon seit früher Kindheit zu kämpfen gehabt und es tat so unfassbar gut, sich selbst plötzlich besser verstehen zu können. Und auch Gott. Rein und vorbereitet zu werden für das, was er möglicherweise mit David und mir vorhatte. Ich hatte Jesus schon so oft eingeladen, der Herr meines Lebens zu sein, aber ich hatte ihm meine guten Seiten gegeben. Bis zu diesem Tag hatte ich noch nicht begriffen, dass er mich auch mit meinem Schmutz wollte. David begleitete mich in diesen Stunden, betete auch im Anschluss noch mit mir und wir erlebten gemeinsam, wie Gott mir die wunderschöne Zusage machte, mir ein neues Herz zu schenken. 

 

Wir wuchsen immer enger zusammen. Irgendwie schienen selbst unsere Gehirne synchronisiert worden zu sein: Einmal saßen wir einfach bei Vokabeln und Muskeln nebeneinander und gerade, als sich in meinem Kopf der Gedanke geformt hatte, dass ein Apfel jetzt ganz nett sei, drehte sich David um und fragte, ob ich Lust auf einen Apfel hatte. Ein weiteres Mal hatte ich plötzlich total Lust auf Tee und prompt stand David auf, weil er „zufällig“ einen Tee kochen wollte. Oft sprachen wir auch wie aus dem Nichts dasselbe aus. „Kann man sich zu ähnlich sein?“, fragte ich mich manchmal. Anscheinend nicht, jedenfalls nicht gemessen daran, wie oft und wie gern wir uns sahen. Und es wurde einfach nicht weniger, im Gegenteil. Noch nie in meinem Leben hatte ich die Zeit mit einem anderen Menschen so genossen. Ich hatte nicht an den Begriff der „Seelenverwandtschaft“ geglaubt, wenn ich ehrlich war, doch in David schien ich jemanden gefunden zu haben, auf den dieses Konzept voll zuzutreffen schien. Wenn wir in der SMD zusammen Musik machten, hatte ich oft das Gefühl, bisher zwar schon vollständig, aber irgendwie doch eben einfach ich, Elena, zu sein. In der Kombination mit David schien die Bereicherung für die Gruppe noch größer zu sein, meine Möglichkeit, Gott zu loben um eine Ebene ergänzt, von der ich nie gewusst, mit der ich nie gerechnet hätte.

 

Und dennoch, immer noch, fiel es mir schwer, diese Gedanken komplett zuzulassen, war da ja immer noch der andere Student aus der Gemeinde und die unumgängliche Tatsache, dass ich dringend mit ihm reden musste. Die Gelegenheit ergab sich schließlich im nächsten Gottesdienst. Ich weiß nicht mehr genau, was das Predigtthema war oder worum es ging, nur, dass es ihm nach einer Corona-Auffrisch-Impfung nicht so gut ging und er im Anschluss relativ schnell nach Hause fahren wollte.

 

„Komm gut nach Hause.“, sagte ich schlicht und machte mich bereits mit den anderen auf den Heimweg, während in meinem Kopf die unterschiedlichsten Gedanken formlos bizarr durcheinanderwaberten. Irgendwann auf der Brücke, die über die Schnellstraße vom Richtsberg Richtung Marburg führte, blieb ich dann abrupt stehen. Ich konnte jetzt nicht einfach gehen, ich konnte es nicht. Ich hielt das einfach nicht mehr länger aus. „Ich muss nochmal mit ihm quatschen.“, erklärte ich David und den anderen kurz angebunden und hastete dann zurück, während ich auf dem Handy bereits seine Nummer wählte. Während das Freizeichen erklang, spazierte ich auf die Bushaltestelle zu, an der in einer Minute ein Bus halten würde, der mich im Zweifelsfall trotzdem mit nach Hause nehmen konnte. Ich wartete. Es fühlte sich an wie ein schicksalhafter Moment der Entscheidung mit nur zwei möglichen Ausgängen, die allesamt die Zukunft nachhaltig beeinflussen würden. Dann ging er endlich ans Telefon.

 

„Ja, was ist los?“ Er klang verwirrt, müde, gleichzeitig aber auch entspannt. Oh man. „Bist du schon losgefahren?“, fragte ich. „Ja, ist alles gut?“

„Schon, aber ich muss kurz nochmal mit dir reden, denkst du, du könntest eventuell nochmal umdrehen?“

Jetzt war es gesagt. Ich hielt unwillkürlich die Luft an, während ich auf seine Reaktion warte, die überraschend gelassen und schnell folgte.

„Klar, kein Problem, bis gleich, ich dreh nochmal um. Wo stehst du?“ Es dauerte nicht lange, da hielt sein Auto neben mir und ich stieg mit pochendem Herzen auf dem Beifahrersitz ein.

„Sorry.“, entschuldigte ich mich sofort. „Das ist jetzt vielleicht etwas cringe, aber danke, dass du nochmal umgedreht bist. Mir war das einfach wichtig und ich weiß nicht, wann wir uns das nächste Mal sehen. Also…“ holte ich wieder Luft, „ich bin mir zu 99,9% sicher, dass das hier eine Freundschaft ist, aber da waren auch Vibes, die ich einfach nicht einordnen konnte und ich wollte dich mal fragen, wie du dazu stehst. Ich hab da jetzt nämlich wen kennengelernt, der ehrliches Interesse geäußert hat, aber ich kann und will dem keine Chance geben, bevor ich dich da nicht einfach gefragt habe, weil das nicht fair wäre.“ Er schien ehrlich beeindruckt. Und erleichtert.

 

„Wow, mega mutig von dir, dass du das so offen ansprichst. Find ich total gut, ehrlich. Also das ist bei mir tatsächlich genauso. Ähnliche Situation: Ich hab da auch wen kennengelernt, keine Ahnung, warum ich das dir gegenüber noch nicht erwähnt habe. Jedenfalls mega gut, dass wir das jetzt nochmal offiziell geklärt haben.“ Und dann lachten wir beide, so erleichtert waren wir. All die Last meines Gewissens, die gesamten Katastrophenszenarien, die vielen vorwurfsvollen Gedanken, dass ich alle um mich herum verletzen würde – all das stürzte in diesem Augenblick wie ein Kartenhaus in sich zusammen und nahm mir eine riesige Last von den Schultern. Und meine Freude darüber, dass er jemand anderen hatte, war der letzte, endgültige Beweis, den ich gebraucht hatte, um Klarheit über meine Gefühle zu bekommen. Wir verabschiedeten uns und als ich die letzten wenigen Meter zu Fuß zum BSH ging, hatte ich das Gefühl, schwerelos zu sein und wie auf Wolken zu gehen. 

 

An diesem Abend sagte ich David endlich, dass ich mich in ihn verliebt hatte und wir wussten beide kaum, wohin mit unserer Freude. Denn: Uns war klar, dass wir nur zusammenkommen wollten, wenn wir uns auch vorstellen konnten, zu heiraten. Und das ist schließlich überhaupt keine leichtfertige Entscheidung, sondern eine der wichtigsten des Lebens und will gut geprüft sein und unser Verstand sagte uns beiden, dass wir uns dafür einfach noch nicht lange genug kannten. 

Ich wollte nicht spielen, ich wollte ehrlich sein. Nur – wie lange wartete man? Welche Zeichen mussten noch kommen, bevor wir uns sicher waren? "Macht ihr es euch nicht ein bisschen schwer?", wurden wir oft gefragt, doch wir beteten sooft, dass "Gottes Wille geschehe", dass wir treu auf sein deutliches "Ja" warten wollten. 

 

Beim Lernen in der Bib hatte ich eines Tages mit einem Mal plötzlich einen kleinen Panik-Moment, in dem ich registrierte, dass – wenn ich mich für David und eine Beziehung mit ihm entschied, die auf Ehe hinauslaufen sollte – dies nun vermutlich die letzte Zeit in meinem Leben war, in der ich single war. Aber was, wenn Gott vielleicht wollte, dass ich ehelos bleiben sollte? Dieser Frage hatte ich mich noch nie gestellt und plötzlich schien sie so wichtig, alles entscheidend. Angst ließ mich fahrig werden, ich machte Fehler beim Rechnen und Abschreiben und war schon kurz davor, meine Lerneinheit kurzentschlossen abzubrechen, als ich mit einem Mal von einem seltsamen Frieden erfüllt wurde und ein Vers in meinen Gedanken auftauchte, der mich ruhig werden lies: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Und die Tatsache, dass ich die Worte in meinem Kopf hatte, bevor mir einfiel, wo sie standen, sprach für mich sehr dafür, dass es eine Ermutigung Gottes war, die in diesem Moment in mein Leben sprach.

 

Unser erster offizieller Schritt war es, das Thema in unserer Gemeinde öffentlich zu behandeln. Wir fragten Freunde, ob sie für uns mitbeten und Gott um Eindrücke fragen konnten. Wir beschlossen nach einem "versehentlichen" Händchen-Halten, auch die körperlichen Grenzen einer Freundschaft bewusst aufrecht zu erhalten und David schrieb zu dieser Zeit eine Hausarbeit über Jesus‘ Versuchung in der Wüste. Als ich vorschlug, vielleicht noch einmal ein paar Tage bewusst Abstand voneinander zu halten, um zu beten und alles zu prüfen, platzte er mit einem ziemlich heftigen Vorschlag heraus:

„Was hältst du denn von 40 Tagen?“

Vierzig Tage?? „Vierzig Tage?“

Es klang vermutlich ziemlich entsetzt und traurig, als ich das aussprach, doch auch ich spürte, dass es vermutlich richtig war. Fünf oder Sieben Tage in derselben Stadt würden nicht ausreichen, um einen nötigen emotionalen Abstand zu bekommen. Und ich musste ja ohnehin noch ein Pflegepraktikum machen! Also entschied ich kurzerhand, mich bei verschiedenen Krankenhäusern zu bewerben, die möglichst weit entfernt waren, das eine in meiner Heimat Harz und das zweite in Bamberg. Und wenn diese Zeit der Prüfung wirklich stattfinden würde, dann war es mir wichtig, dass meine Eltern David vorher kennenlernten. So oder so war dieses Treffen unverzichtbar. Sie kannten mich so gut, besser als sonst irgendjemand und ihr Urteil bedeutete mir viel. Davids Eltern beteten bereits für uns mit und das wünschte ich mir von den meinen auch sehr. Wir vereinbarten also ein Treffen und bald stand fest, dass ich vor dem Beginn meines Pflegepraktikums für ein Wochenende mit ihm in den Harz fahren würde. Gesagt, Getan. 

 

Ich schrieb einen Brief an Davids Eltern, in denen ich ihnen meine Absichten und Gefühle mitteilte und ihnen für ihre herzliche Offenheit dankte und nahm David mit zu mir in die Heimat, wo wir ein wunderschönes Wochenende mit meinen Eltern verbrachten und gemeinsam um Gottes Reden und seine Führung während der Zeit in Bamberg beteten. Auch David formulierte ihnen gegenüber ganz offen, was er für mich empfand und dass er sich das Beste für mich wünschte.

Als wir mit dem Gebet fertig waren, hatte meine Mutter Tränen in den Augen und sagte nur:

"Also, wenn ihr ein JA von Gott kriegen würdet, würden wir uns sehr freuen..." Ihr Nein wäre für mich kein finaler Grund gegen eine Beziehung gewesen, aber ihre Unterstützung bedeutete mir unheimlich viel. 

 

Die Onkologie befand sich im 13. Stock des Krankenhauses und da ich Fahrstuhlfahren hasste, wurde das Praktikum für mich zu einer wahren Konfrontationstherapie. Aber es war natürlich auch sehr schön, jeden Tag so einen tollen Ausblick aus dem Fenster genießen zu können. Nach einigen Tagen Einführung fand ich mich sehr schnell in meinen Arbeitsalltag ein: Oft arbeitete ich abwechselnd früh und spät, doch auch daran gewöhnte ich mich. Mit den Arbeitskollegen kam ich relativ gut klar, bald brachten sie mir nach einer kurzen Anfangszeit Respekt und Wertschätzung entgegen.  und mit den Patientinnen und Patienten zu arbeiten, hatte mir ja immer schon gut gefallen. Bereits von Tag eins an bemerkte ich, wie nah ich mich David in Gedanken fühlte. Ständig sah ich etwas, von dem ich ihm erzählen und das ich ihm zeigen wollte, die Erinnerung an die letzten gemeinsamen Monate trug mich durch die anstrengendsten Arbeitstage und das Lächeln, das ich auf dem Gesicht trug, um die Menschen um mich herum zu ermutigen, war echt. Ja, ich vermisste ihn. Doch es war ein wunderschönes Vermissen. Jeden Tag freute ich mich auf die abendlichen Telefonate, in denen wir gemeinsame in der Bibel lasen und beteten und die besonders schönen Erlebnisse schilderte ich ihm in meinen Briefen, die ich regelmäßig zu der kleinen Poststation brachte. 

 

David schrieb selbst die wunderschönsten Briefe: Aufwendig verziert, bemalt, beklebt – und ich verschlang jedes einzelne seiner sorgsam ausgewählten Worte, bei denen mir oft ganz warm wurde. Jetzt konnte der Typ auch noch richtig gut zeichnen! Unglaublich. Meine waren dagegen eher im Tagebuchstil gehalten, ich schrieb einfach alles auf, was mir so einfiel, wusste jedoch, dass er sich auch darüber sehr freuen würde. Nur eine Antwort hatte ich trotz viel Gebet noch nicht von Gott bekommen. Was mir Frieden gab, war das Wissen, dass selbst bei einem „Nein“ meine Beziehung zu ihm nicht leiden würde. Er würde bleiben. Und so konnte ich eigentlich kaum verlieren: Nur gewinnen. Meine Gedanken dazu verarbeitete ich in einem Lied, das ich auch gleich mit ein paar Bildern und Videos von uns beiden unterlegte und David in einem der nächsten Briefe als handgeschriebenen Link schickte. 

 

Wir beschlossen, eine Woche lang völlig den Kontakt abzubrechen – und währenddessen auch nicht zu telefonieren oder zu chatten. In dieser Zeit besuchte ich die Holy Spirit Night in Stuttgart, war im Anschluss allerdings eher ein wenig enttäuscht darüber, dass ich dort nichts „gehört“ hatte. Ich beschloss auch, einen Tag nur zu beten und zu fasten, was ohne Vorbereitung für mich allerdings eher eine Qual war. Das Fasten schien nicht dazu zu führen, dass ich Gott besser hören konnte, im Gegenteil. Umso überraschter war ich, als es mir ein paar Tage später während einer Lobpreiszeit plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel. Ich hatte kurz zuvor mit meinem Vater über das ganze Thema geredet, der mir mit seinen Worten noch einmal einen tiefen Frieden ins Herz gesprochen hatte. Gott meinte es gut mit mir. Er hatte ein wahres Schenker-Herz. Und wenn die Motivation stimmte und ich mich nach seinem Willen ausstreckte – dann hing es nicht von der „einzig richtigen“ Person ab, ob er eine spätere Ehe segnen würde oder nicht. Ich durfte eine freie Wahl treffen.  Es passte zu dem Bild eines Geschenkes, das auch Davids Eltern im Gebet für uns erhalten hatten: Diese Beziehung war wie ein mögliches Starter-Kit für unser Leben. Wir durften aus freien Stücken eine Entscheidung füreinander treffen. Aber wir mussten nicht. 

 

Und als ich in dem Lied „Wir sind eins“ plötzlich über die Zeile „Ein Weg. Ein Ziel. Ein Gott, der Leben gibt.“, stolperte, musste ich sofort an den Eindruck einer Freundin für uns denken: Das Lied One Way. 

Ich kann es logisch nicht erklären, warum es mir plötzlich klar wurde, doch ich verstand, dass David und ich zusammen auf Gott zugehen durften. Menschlich hatte ich meine Entscheidung getroffen – und Gott würde sich dazustellen, wenn ich ihn um Hilfe bat. 

 

Völlig überwältigt vor Freude und auch überrascht von dieser tiefen Gewissheit, die mich mit einem Mal durchströmte, fiel ich auf die Knie und betete: „Herr, ich entscheide mich jetzt für diesen Mann. Ich brauche deine Hilfe dazu, und ich möchte ihn ermutigen, ehren und ihm helfen, der Mann zu werden, den du in ihm siehst.“ Allein dieser Moment hätte mir schon genügt, doch Gott war unfassbar gnädig: Er schenkte mir auch noch ein Bild davon, wie Engel im Himmel ausgelassen tanzten. Ich spürte förmlich, wie er sich mit mir für diese Entscheidung freute und mich an dieser Freude teilhaben ließ. Noch lange später würde es dieser Moment sein, der mir auch in schwierigen Situationen Kraft und Ruhe gab.

 

Als David und ich wieder Kontakt aufnahmen, war schnell klar, dass wir beide unser Ja erhalten hatten. Ein bisschen tauschten wir uns in unseren Briefen bereits darüber aus (Wusstet ihr, dass Lehm an sich schon ein gutes Baumaterial ist und Stroh ihn aufwertet? Nein? David und ich auch nicht, aber dieses Bild hatte David im Gebet und es passt wirklich einfach perfekt auf unsere Situation...) und bald stand fest, dass er mich zum Ende meiner Praktikumszeit in Bamberg besuchen würde. Schon lange vorher war ich unheimlich aufgeregt und schwankte emotional irgendwo zwischen übersprudelnder Vorfreude und ängstlich schüchterner Nervosität. Auch meine Kolleginnen auf der Arbeit merkten mir meine Gefühle an und einigen davon erzählte ich na4 b,lllllllllllllllllllllllllllllvch und nach, was der eigentliche Grund für den Zeitpunkt meines Pflegepraktikums war. 

 

Am Tag von Davids Ankunft war mein Puls Stunden vorher schon auf einem langfristig eher ungesunden Level angelangt, doch ich kannte ja den Grund und so nahm ich es einfach belustigt zur Kenntnis. Ich bekam so Feierabend, dass ich mich rechtzeitig aufs Fahrrad schwingen konnte, um zum Bahnhof zu gelangen, wo ich ihn abholen würde. Beinahe etwas unerwartet hatte alles geklappt: Ich war pünktlich, der Zug schien pünktlich – nur die Sonne ließ an diesem bewölkten Nachmittag noch auf sich warten. Und dann… fuhr der Zug ein. Ich zitterte beinahe ein wenig, hielt in den vorbeirasenden Fenstern nach ihm Ausschau, lief ein Stück den Bahnsteig entlang, ging wieder zurück… und dann sah ich ihn: Breit grinsend, aufgeregt, so, als könnte er seinen Körper nur mit Mühe davon abhalten, einfach loszurennen. Das übernahm ich dann für uns beide. Ich rannte einfach los, so schnell ich konnte, überglücklich, dass mein Fuß mich trug und dass er endlich, endlich, wieder bei mir war. Mein Herz machte einen Satz, als ich sein Gesicht sah – ich hatte ganz vergessen, wie gut er aussah! – und als wir uns endlich in die Arme schlossen, wurde mir wieder einmal klar, wie gut ich dort hineinpasste. (Ih bah, Spoiler Alert, es wird noch kitschiger.) 

 

 „Wie schön, dass du da bist.“, sagte irgendeiner von uns beiden und dann hielten wir uns einfach nur weiter fest. 

Man kann allerdings nicht ewig umschlungen an irgendwelchen Bahnsteigen stehen. Und außerdem waren wir ja noch gar nicht offiziell zusammen. Wir brachten also zunächst einmal unsere Rucksäcke zu unserer Unterkunft, packten ein paar Vorräte ein und radelten dann gemeinsam auf die Burg, die ich schon einige Male nach der Arbeit besucht hatte. Von dort aus hatte man einen tollen Blick über die Stadt, das wusste ich – und es schien mir ein schöner Ort zu sein, um in unserer Beziehung erste Schritte zu gehen. Ich zeigte David kurz das Krankenhaus und von dort aus ging es dann weiter zu der Ruine. Gemeinsam schauten wir hinunter auf die Gassen, Häuser und den Fluss, während die Zeit um uns herum sich dehnte und wieder schrumpfte und wir beide über die eigene Unbeholfenheit lachen mussten. Es gab viel zu erzählen. Doch zuallererst wollten wir den Schritt gehen, nach dem wir uns beide nun schon so lange sehnten.

 

Ein passender Ort dafür schien uns ein überwachsenes, kleines Denkmal zu sein, vor das wir uns setzten und dann gemeinsam die Augen schlossen, um zu beten. Wir luden Gott offiziell in unsere Beziehung ein, legten unsere Wünsche, Träume und Hoffnungen vor ihm hin und baten ihn um seinen Segen. Es fühlte sich so gut an, das zu tun, so rein und richtig – und was noch viel besser war: Wir wussten beide, dass das Gefühl nur Bonus war und dass es darauf nicht ankam, sondern auf die tiefe Wahrheit, die allein schon in unseren Worten lag. Wir sehnten uns beide so sehr danach, das Richtige zu tun – mit dieser Beziehung ihn zu ehren – und es war so befreiend und ermutigend, zu wissen, dass wir den lebendigen Gott an unserer Seite hatten. 

 

Erst, als wir die Augen geöffnet hatten, nahmen wir einander behutsam an den Händen. „Willst du meine Freundin sein, Elena?“, fragte David und ich nickte entschieden, weil ich kaum noch ein Wort herausbekam. „Ja.“

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