Wie bereits so oft strampele ich auch diesen Morgen auf meinem Fahrrad den gepflasterten Steinweg zur Wasserscheide hinauf. Genau dort, zwischen einem Bäcker, dem Café Großartig, einem Souvenirladen und dem Aufzug, mit dem man in die Stadt kommt, liegt das Con:Text. Der Laden gehört zum Christus-Treff, der Gemeinde, in die ich gehe und verkauft neben christlichen Büchern, Schreibwarenladen, Dekorations- und Geschenkartikeln auch Second-Hand-Bücher, Kaffee und seit neustem ein eigenes Label: In der Con:Text-ManufaCTur werden von freiwilligen Gemeindemitgliedern und Freunden selbstgefertigte Produkte verkauft – Ketten, Schals, Karten, geplottete und gelaserte Holzprodukte, bedruckte Einkaufstüten und vieles mehr. Ich liebe diese Ecke ganz besonders, da an jedem Produkt ein kleiner Con:Text-Anhänger mit einem Bibelvers oder einer Ermutigung befestigt ist. So bekommt der Name „Con:Text“ noch einmal eine völlig neue Bedeutung. Ich persönlich bin einfach begeistert von Menschen, Kaffee, Bücher und vor allem Texte ganz besonders, da liegt es auf der Hand, dass mich diese Idee berührt. Aber generell ist die Arbeit hier wunderschön.
Bereits bevor ich vor nun fast vier Jahren nach Marburg zog, hatte ich den Buchladen im Internet gefunden und einfach versuchsweise schon einmal eine Initiativ-Bewerbung für einen Mini-Job geschrieben, so sehr faszinierte mich das Konzept. Damals lautete die Antwort noch „Nein“, da im Con:Text vor allem Ehrenamtliche arbeiten und alle bezahlten Mini-Job-Stellen bereits vergeben waren. Doch ich gab nicht auf. Und als ich das erste Mal den Laden betrat, für 5 Euro drei Second-Hand-Bücher erwarb und überglücklich über diesen Kauf mit großen Augen staunend durch den Laden schlenderte, wusste ich, dass ich mich verliebt hatte. Die Atmosphäre im Con:Text ist wirklich etwas Besonderes und das liegt nicht nur an dem verspielten Industrial-Style, den Leitern, die als Regale dienen, der Theke, die aus geleimten, alten Büchern besteht oder den Sesseln und Sofas, die dem ganzen eine gemütliche Wohnzimmer-Atmosphäre verleihen. Es liegt auch nicht nur an der Worship-Musik, dem Kaffee-Duft, der aus der Siebträgermaschine steigt, den frischen Blumen überall, den antiquarischen Gegenständen wie einer wunderschönen, alten Schreibmaschine und einer alten Industrie-Waage, oder dem Gewölbekeller aus dem 13. Jahrhundert, in dem es immer wieder schöne künstlerische Ausstellungen und eine Gebetsecke gibt. Es ist etwas anderes, jemand anderes.
Schon als normale Kundin fiel mir auf, dass sich die Menschen hinter dem Tresen Zeit für mich nahmen, für meine Gefühle, meine Gedanken, mich als Person. Ich wurde nicht einfach abgefertigt, sondern gesehen. Und das beeindruckte mich sehr. Immer wieder erkundigte ich mich, ob mittlerweile eine Stelle frei geworden war, bestellte die Bücher für das Studium im Laden und gönnte mir ab und zu einen Kaffee, mit dem ich mich ans Fenster setzte, lernte und das Treiben der Menschen auf der Straße beobachtete.
Etwa zwei Jahre später wurde dann eine Minijob-Stelle frei und ich durfte voller Freude anfangen zu arbeiten. Die verschiedenen Corona-Lock-Downs waren noch nicht lange her und auch das Con:Text hatte erheblich darunter gelitten. Erst hinter der Kasse erfuhr ich nach und nach mehr von der eigentlichen Motivation und Idee hinter dem Geschäft. Es überraschte mich, dass er gar nicht hauptsächlich dafür gedacht war, Einnahmen und Verdienst zu machen, im Gegenteil: Das Hauptanliegen war es, in der Stadt einen Begegnungsort zu schaffen, einen Platz, an dem sich Kirche und Menschen begegneten und Vorbeischlendernde einen winzigen Berührungspunkt mit Gott bekommen konnten, wenn sie das wollten. Von meinen Arbeitgebern (und Freunden) wurde ich ausdrücklich dazu ermutigt, mir Zeit für die Menschen zu nehmen. Ihnen zuzuhören. Mich auch einmal beiseitezusetzen und für jemanden zu beten, wenn er oder sie sich das wünschte. Ich war vollkommen baff. Denn natürlich ist es auch mein Wunsch, später als Medizinerin jeden Menschen als geliebtes und würdevolles Geschöpf Gottes zu behandeln, aber Zeit wird vermutlich das sein, was ich mitunter leider am wenigsten haben werde. Nun zu merken, dass ein ganzer Laden nicht den Konsum, sondern vor allem die Beziehung und die Begegnung im Fokus hat, ließ mir beinahe die Tränen in die Augen treten.
In den kommenden Wochen und Monaten lernte ich sehr viel darüber, wie alles hinter den Kulissen ablief: Bevor der Laden geöffnet wurde, wurde für die Gebetsanliegen auf der Gebetspinnwand im Gewölbekeller (der übrigens durch Zufall vor 10 Jahren beim Umbau zum Buchladen entdeckt worden war!) und für den kommenden Arbeitstag gebetet. Die Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich arbeitete, waren gleichzeitig Freunde und gewissermaßen Glaubensfamilie. Das machte vieles einfacher und natürlich auch einiges komplizierter. Aber auch bei Konflikten oder Unklarheiten konnten wir am Ende immer zusammen beten und einander verzeihen. So hatte ich „Arbeiten“ noch nie erlebt. Es fühlte sich auch nicht so an: Ich kann nicht zählen, wie oft ich aus dem nichts heraus tiefe Gespräche über Leben und Sterben, Glauben, Lebensträume, Familie, Beziehungen oder Ängste und Sorge führte – manchmal mit völlig Unbekannten. „Bei euch ist irgendetwas anders.“, hörte ich oft und durfte dann jedes Mal strahlend erzählen, dass das hier eben auch kein „normales" Geschäft war. Viele Leute schienen auf irgendeine Art und Weise zu spüren, dass wir Gott jeden Morgen ganz bewusst in diese Räume einluden, und ich gewöhnte mir an, sooft ich konnte, im Stillen für die Kunden und Kundinnen zu beten.
Über dem Café wohnten Gemeindemitglieder, was das ganze Arbeiten noch familiärer machte. Oft liefen einfach Menschen durch den Laden, um jemanden zu besuchen und ich wurde erst durch meine Arbeit hier ein wirklich fester Teil der Gemeinde, in dem ich auch Beziehungen zu der älteren Generation knüpfte. Manchmal gab es Buchlesungen, Bastelworkshops und andere Angebote; so verschenkten wir in der Weihnachtszeit beispielsweise Punsch, veranstalteten Adventssingen vor der Tür und waren Teil des Krippenwegs. Abends nach den CelebraTe-Gottesdiensten für junge Erwachsene öffnete das Con:Text extra noch einmal seine Türen, um Raum für Gemeinschaft und Gespräche zu geben. Auch den hohen Ansprüchen in puncto Nachhaltigkeit – ein großes Thema in Marburg! – konnte der Buchladen durch den Verkauf von regionalem, fair gehandelten Kaffee oder Kooperationen mit Entwicklungsprojekten in Afrika, sowie dem Verkauf von Recup-Bechern und Second-Hand-Produkten gerecht werden.
Im Rückblick war das größte Wunder für mich allerdings, wie Gott mich für die Arbeit stärkte und versorgte. Der Zeitpunkt für den Beginn eines Minijobs war nämlich eigentlich der denkbar Schlechteste: Ich war gerade im 3. Semester meines Medizinstudiums und musste innerhalb von nur 7 Wochen die gesamte Anatomie von Thorax, Abdomen, Kopf und Hals lernen, die am 23. 12. mündlich an der Leiche geprüft wurde. Parallel musste ich mich für wöchentliche Testate in Biochemie vorbereiten und da ich ja neben den 8 Stunden Arbeit pro Woche auch die Sonntage freimachte, bedeutete das im Schnitt, dass ich statt der normalen 7 Tage-Woche lediglich 5 Tage zum Lernen hatte – die ganzen Veranstaltungen nicht mitgerechnet. Während dieser Zeit lernte ich von früh morgens bis abends um 23 Uhr, wann immer ich konnte, um mit dem Lernplan und dem Pensum irgendwie Schritt zu halten. Vielleicht wäre es – gerade für meine Beziehungen zu anderen Menschen – klüger gewesen, das nicht zu tun, doch als ich zu Beginn des Semesters realisierte, wie schlimm es wirklich war, war es schon zu spät. Also biss ich die Zähne zusammen und versuchte, meine Aufgabe treu zu erledigen. Und Gott versorgte mich. In all meinem Alltagstress war die Arbeit im Con:Text eine Zeit des Auftankens. Anstatt gestresst zu sein, kam ich hier zur Ruhe, hatte Zeit zum Aufatmen und Abschalten. Und: Ich schaffte meine Prüfung trotzdem. Generell wurde ich aber auch immer von meinen Kolleginnen und Kollegen unterstützt und während meiner Physikums-Lernzeit bekam ich sogar eine zweimonatige Vertragspause, sodass ich keinen Urlaub nehmen musste, während die anderen meine Schichten abfingen. Ich weiß, dass das keineswegs selbstverständlich ist, gerade, weil wir chronisch unterbesetzt sind – und bin unendlich dankbar dafür. Mir ist sehr deutlich bewusst, dass das in einem normalen Laden niemals passieren würde.
Momentan erlebe ich in meinem Studium die entspannteste Zeit, die ich jemals hatte und habe eine völlig neue Lebensqualität zurück geschenkt bekommen. In den kommenden Monaten werden – so Gott will – viele aufregende, spannende Dinge geschehen (dazu ein anderes Mal mehr… ^^) und ich weiß momentan noch nicht, wie meine Arbeit hier weiter aussehen wird. Doch auch gerade jetzt, in einem wieder einmal etwas ruhigeren Moment hinter der Theke, mit einem unwillkürlichen Lächeln auf den Lippen, weiß ich, dass ich keinen Augenblick hier missen wollen würde.
Dieser Blogartikel sollte keine Werbung sein – und das meine ich ganz ehrlich. Ich glaube einfach, dass es „Geschäfte“ mit einem ähnlichen Konzept einfach sehr selten gibt und wollte euch an meiner Begeisterung dafür teilhaben lassen. Nichtsdestotrotz ist das Con:Text eine wunderbare Möglichkeit, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und daher eine große Empfehlung – gerade für meine Leserinnen und Leser aus Marburg. Auch ehrenamtlich freuen wir uns immer wieder über etwas Unterstützung – und man bekommt so viel mehr zurück geschenkt als man investiert, so viel kann ich euch versprechen! Sprecht uns einfach an – oder hinterlasst einen Kommentar, wenn ihr ähnliche Projekte kennt oder schon ähnliche Erfahrungen gemacht habt! 😊
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